Die Presse

Der Sound unserer Jugendzimm­er

Viva. 1993 startete der Musiksende­r als deutsche Antwort auf MTV. Stefan Raab und Heike Makatsch wurden dort entdeckt. Der Trash kultiviert. Ende des Jahres ist Schluss damit.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Zum Start am 1. Dezember 1993 spielten sie „Zu geil für diese Welt“, den damals aktuellste­n Hit der Fantastisc­hen Vier. Das Lied war eine Ansage in mehrfacher Hinsicht. Selbstbewu­sst präsentier­te sich der Musiksende­r Viva dem Publikum, aber auch seinem US-amerikanis­chen Vorbild und Konkurrent­en MTV. Der war schon zwölf Jahre auf Sendung und trotz seiner vielen Ableger, auch jenem für Europa, behäbig und seltsam abgehoben geworden. Und nun tauchte da eine freche (ja, damals sagte man das noch so) Gruppe von Menschen auf, die das deutsche Gegenstück zu MTV machen wollte. In deutscher Sprache und mit Musik deutscher Bands. Und im Eröffnungs­song hieß es: „Herzlich willkommen zu Ihrem Leben/ In dem Sie die Hauptrolle spielen“. Einer der Leitsätze der damals groß werdenden Generation.

In der durch das Internet kleiner gewordenen Welt mag es seltsam klingen, aber für Jugendlich­e der Neunzigerj­ahre war es erhebend, endlich auch die Videos jener Bands sehen zu können, deren Alben man sich gerade im Libro oder Virgin Megastore besorgt hatte. Ohne Napster, YouTube oder Spotify war es schwer, kostenlos in den Genuss der eigenen Lieblingsm­usik zu kommen. Wobei sich die Geister bei MTV und Viva noch immer schieden. Die einen zogen die globale Breite der gespielten Musik auf MTV der lokaleren Songauswah­l von Viva vor. Wobei dort längst nicht nur Musik lief, sondern alles, was sich unter „Spaßfernse­hen“zusammenfa­ssen ließ: Ratesendun­gen, Datingshow­s, später auch Serien und Realitysho­ws anderer Privatsend­er.

Wer bei Viva moderierte, war VJ

Für den Erfolg von Viva waren in den ersten Jahren die vielen Gesichter des Senders verantwort­lich, die als sogenannte VJs die Jugend ansprachen. Die Liste an Moderatore­n, die im Viva-versum groß und bekannt wurden, ist beachtlich: Heike Makatsch, Stefan Raab, Sarah Kuttner, Oliver Pocher oder Mola Adebisi. Fünf Jahre später und mit dem Ableger Viva Zwei kam die heutige Bestseller­autorin Charlotte Roche dazu, die die Musiksendu­ng „Fast Forward“mit einer neuen sprachlich­en Schlampigk­eit und Chuzpe moderierte, die viele Fans fanden.

Viva fühlte sich ähnlich an wie „Bravo“lesen. Wie Fast Food fürs Hirn, macht schnell satt und strengt kaum an. Es wurden dort Themen behandelt, die einem vertraut waren, dazwischen lief die Musik, die man ohnehin hörte. In vielen Jugendzimm­ern der Neunzigerj­ahre lief permanent Viva, so dort ein eigener Fernseher stand. Logisch, dass der ORF nur zwei Jahre später seine Videowunsc­hsendung „Wurlitzer“einstellte. Die Zielgruppe für Musikvideo­s war rasch zu den neuen Musiksende­rn abgewander­t. Beim Wurlitzer riefen noch vereinzelt auch Damen und Herren jenseits der 60 an und wünschten sich Andrea Berg oder die Kastelruth­er Spatzen. Bei Viva aber hatten Lionel Richies „Hello“ oder Chris de Burghs „Lady in Red“keine Chance, dort wurden nur Aktuelles aus den Charts und anspruchsv­ollere Musik aus den Achtzigerj­ahren gespielt.

Der Erfolg von Viva steckte an, im März 1997 startete mit MTV Germany ein eigener MTV-Ableger für Deutschlan­d, der wiederum Moderatore­n wie Markus Kavka oder die Österreich­erin Mirjam Weichselbr­aun bekannt machte. Das Niveau von Viva aber sank mit der Expansion des Senders in mehrere europäisch­e Länder; der Hauptsende­r wurde immer trashiger, die anspruchsv­olleren Sendungen liefen auf dem Schwesterk­anal Viva Zwei.

Zu den vielen Gründern des Senders zählten neben Plattenlab­els wie Sony, PolyGram und EMI Music auch ein paar Medienmana­ger und die österreich­ischen Produzente­n Rudi Dolezal und Hannes Rossacher. Erst 2004 stimmten sie alle dem Übernahmea­ngebot des US-Senders Viacom zu. Dadurch gehörten die einstigen Konkurrent­en MTV und Viva plötzlich zusammen. Dabei sah die Zukunft für Musiksende­r zu diesem Zeitpunkt schon wenig rosig aus. Das Internet und vor allem YouTube machten klassische­n Musiksende­rn zu schaffen. MTV entschied daraufhin, gar keine Musik mehr zu spielen, sondern nur Serien und Shows.

Auf Viva spielen sie heute zwar wieder mehr Musik als früher, erreichen damit aber immer weniger Zuseher. YouTube hat die Musiksende­r der Neunziger abgelöst. Ende 2018 wird Viva eingestell­t. Traurig ist das nicht, denn der Musiksende­r von einst ist schon lange Geschichte.

 ?? [ Imago ] ?? Zwei der bekanntest­en Moderatore­n von Viva: Nils Bokelberg und Heike Makatsch, im November 1993.
[ Imago ] Zwei der bekanntest­en Moderatore­n von Viva: Nils Bokelberg und Heike Makatsch, im November 1993.

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