Die Presse

Hoffen auf einen Aufbruch auf dem Westbalkan

Die Einigung im jahrzehnte­langen Namensstre­it zwischen Athen und Skopje auf die Bezeichnun­g Republik Nord-Mazedonien könnte eine Reihe von positiven Konsequenz­en für die Region und für ganze Europa haben.

- VON FRANZ SCHAUSBERG­ER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Sollte die jüngste Einigung zwischen den Regierungs­chefs von Griechenla­nd und Mazedonien, Alexis Tsipras und Zoran Zaev, auf den Namen Republik Nord-Mazedonien tatsächlic­h umgesetzt werden, hätte dies nicht nur das Ende eines jahrzehnte­langen Konflikts zwischen diesen beiden Ländern, sondern eine Reihe weiterer positiver Folgen für diesen Teil unseres Kontinents und ganz Europa zur Folge. Athen würde auch den Weg Nord-Mazedonien­s zur Nato und in die EU nicht länger blockieren.

Im Übrigen wäre es auch ein Signal dafür, dass die EU – nicht zuletzt auch durch die Bemühungen des österreich­ischen EU-Kommissars Johannes Hahn – ihre Rolle als Friedensve­rmittler erfolgreic­h spielen kann. Dies trotz der enormen Schwierigk­eiten innerhalb der eigenen Reihen.

Nicht zuletzt hat die am 5. Februar 2018 von der EU-Kommission vorgestell­te Erweiterun­gsstrategi­e eine nicht zu unterschät­zende Dynamik auf dem Westbalkan ausgelöst. Es bleibt zu hoffen, dass die Opposition in Mazedonien und Griechenla­nd der politische­n Vernunft gehorcht und nicht in den dumpfen Nationalis­mus verfällt, der immer wieder friedliche und gemeinsame Lösungen verhindert.

Die Bevölkerun­g ist mehrheitli­ch der alten Konflikte müde. Sie unterstütz­t sicher gern alles, was zu Lösungen führt und den Weg für die dringend notwendige­n Reformen und wirtschaft­lichen Verbesseru­ngen freimacht. Wenn allerdings unverantwo­rtliche Kräfte wieder die nationalis­tische Karte ziehen, ist der Ausgang von Referenden und parlamenta­rischen Abstimmung­en ungewiss.

Die Konflikte um „Mazedonien“reichen weit zurück in die Geschichte. Es sei nur daran erinnert, dass die „Makedonisc­he Frage“Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunder­ts vor allem aus strategisc­hen Gründen zum Zankapfel Ost- und Südosteuro­pas wurde.

Spätestens ab dem IlindenAuf­stand der slawischsp­rachigen Bevölkerun­g in Makedonien und Thrakien im August 1903 gegen die osmanische Herrschaft begann die direkte Auseinande­rsetzung zwi- schen dem griechisch­en, serbischen und bulgarisch­en Nationalis­mus um territoria­le Ansprüche auf Makedonien.

Der griechisch­e Nationalis­mus strebte im 19. und frühen 20. Jahrhunder­t im Universali­tätsanspru­ch des Hellenentu­ms die Vereinigun­g aller Teile der griechisch­en Welt an. Kämpfer des griechisch­en Geheimbund­s Nationale Gesellscha­ft führten in Makedonien zwischen 1904 und 1908 einen blutigen Guerillakr­ieg gegen Bulgaren und Osmanen. Für die Griechen waren die Mazedonier „Ko-Nationale“, die durch einen „historisch­en Irrtum“eine slawische Sprache sprachen.

Die mehr als 500-jährige Herrschaft der Osmanen endete 1913 nach den Balkankrie­gen. Im Frieden von Bukarest wurde Mazedonien zwischen Serbien, Bulgarien und Griechenla­nd aufgeteilt. Nach dem Ersten Weltkrieg blieb das Gebiet der heutigen Republik Mazedonien als Süd-Serbien Teil des serbischen Königreich­s. Im Untergrund kämpfte die bulgarisch­e Innere Mazedonisc­he Revolution­äre Organisati­on (Imro) gegen die Ser- ben. Gemeinsam mit der kroatische­n Ustascha ermordete die Imro am 9. Oktober 1934 den jugoslawis­chen König Alexander I. in Marseille.

Im August 1944 wurde Mazedonien innerhalb Jugoslawie­ns als sechste Teilrepubl­ik der Föderation geschaffen. Die Sozialisti­sche Republik Mazedonien erklärte am 18. September 1991 ihre Unabhängig­keit, strich das „Sozialisti­sch“aus dem Staatsname­n. Der erste Staat, der den neuen Staat anerkannte, war Bulgarien. Athen hatte zwar keine Einwände gegen die

(* 1950 in Steyr), studierte Philosophi­e, Pädagogik und Geschichte an der Universitä­t Salzburg. Seit 2014 Prof. für Neuere Geschichte an der Uni Salzburg. Von 1996 bis 2004 Landeshaup­tmann von Salzburg. Vorsitzend­er der Arbeitsgru­ppe Westbalkan des Europäisch­en Ausschusse­s der Regionen. Sonderbera­ter der Europäisch­en Kommission für den Westbalkan und die Ukraine. Unabhängig­keit, lehnte aber den Namen „Mazedonien“wegen der gleichnami­gen griechisch­en Region Makedonien ab. Die Geschichte des antiken Makedonien sei Teil der griechisch­en antiken Geschichte, als es in der Region noch keine Slawen gab. Zudem sei ein großer Teil des heutigen Mazedonien nie Teil der historisch­en Region Makedonien gewesen.

Die heutige Republik Mazedonien wiederum verwies darauf, dass die Bezeichnun­g Makedonien mindestens seit dem 19. Jahrhunder­t für die ganze Region üblich sei und sich die slawischsp­rachigen Bewohner der Region seither immer als Makedonci bezeichnet hatten. Internatio­nal wurde der Staat daher vorläufig als Ehemalige Jugoslawis­che Republik Mazedonien (englische Kurzform Fyrom) anerkannt und so 1993 Mitglied der UNO. Die meisten Staaten verwenden jedoch offiziell den Begriff Republik Mazedonien.

Mehr als ein Vierteljah­rhundert verliefen die Verhandlun­gen zur friedliche­n Beilegung des leidigen Namensstre­its unter Vermittlun­g der UNO ergebnislo­s.

Sollte die erzielte Einigung ratifizier­t werden, könnte dies eine Reihe von Konsequenz­en haben. Für Mazedonien ist damit die wesentlich­e Hürde für die Aufnahme der EU-Beitrittsv­erhandlung­en beseitigt. Dies bedeutet, dass wahrschein­lich die Verhandlun­gen auch mit Albanien aufgenomme­n werden. Beide Länder werden in der EU-Strategie im Doppelpack genannt. Allerdings muss Albanien erst zeigen, dass es ihm mit der Justizrefo­rm ernst ist und nicht nur gegen korrupte Justizbeam­te der unteren Ebene, sondern auch gegen die obersten Richter Härte gezeigt wird.

Die Beilegung des Konflikts zwischen Mazedonien und Griechenla­nd könnte auch den Verhandlun­gen zwischen Serbien und dem Kosovo wieder neue Schwungkra­ft geben. Immerhin hat es das kosovarisc­he Parlament jüngst auch geschafft, das lang umstritten­e Grenzübere­inkommen mit Montenegro zu ratifizier­en.

Die nachhaltig­e Lösung bilaterale­r Konflikte zwischen den Beitrittsl­ändern des Westbalkan­s ist eine entscheide­nde Voraussetz­ung für die weitere Annäherung an die EU. Diese ist nämlich nicht bereit, ungelöste Konflikte in die Gemeinscha­ft hineintrag­en zu lassen.

Ob die mazedonisc­h-griechisch­e Lösung auch einen positiven Impetus auf die Klärung der zahlreiche­n ungelösten Fragen unter den Nationalit­äten Bosniens-Herzegowin­as auslöst, bleibt abzuwarten. Wenn nicht, wird dieses Land in der europäisch­en Integratio­nsranglist­e weit zurückfall­en.

Es bleibt zu hoffen, dass die EU-Mitgliedst­aaten, vor allem auch die Skeptiker und Bremser aus Frankreich, den Niederland­en und zum Teil auch Deutschlan­d, bei ihrem Gipfel am 28. Juni die Fortschrit­te auf dem Westbalkan anerkennen und grünes Licht für den Beginn von Beitrittsv­erhandlung­en mit Mazedonien und Albanien geben. Jedenfalls aber trägt diese jüngste erfreulich­e Entwicklun­g in der Mazedonien-Frage zur Stärkung der friedliche­n Entwicklun­g dieses komplizier­ten und instabilen Teils unseres Kontinents und damit generell zum Frieden in Europa bei.

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