Die Presse

Huch, „Nationalma­nnschaft“! Ist das nicht schon NS-Wiederbetä­tigung?

Dass „Nation“und „Nationales“wieder an Ansehen gewinnen, liegt nicht an der Dummheit der kleingeist­igen Wähler, sondern am Versagen des Postnation­alen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Nicht nur Bundeskanz­lerin Angela Merkel warnt mit sturer Beharrlich­keit im aktuellen Drama um die Kontrolle der deutschen Grenzen vor illegaler Zuwanderun­g vor „nationalen Lösungen“. Glaubt man dem, was in diesen Tagen Spitzenpol­itiker und das mediale Kommentari­at im Stakkato von sich geben, dann ist nämlich der Nationalst­aat die größte Bedrohung der Menschheit seit der Erfindung der Atombombe.

Von der deutschen Kanzlerin bis zum französisc­hen Staatspräs­identen, Emmanuel Macron, von Alexander Van der Bellen bis zum EU-Kommission­spräsident­en, Jean-Claude Juncker, wird vor den „Gefahren des Nationalis­mus“, dem „Aufwallen nationalis­tischer Strömungen“oder dem „Neuen Nationalis­mus“mit einer Inbrunst sonderglei­chen gewarnt.

Selbst Kardinal Schönborn hat, schon vor einiger Zeit, den Nationalis­mus die „Ursünde Europas“genannt. Und egal, ob es gerade gegen Trump, Putin oder sonst einen globalen Bösewicht geht – der Vorwurf des Nationalis­mus gehört zum Standardre­pertoire der damit verbundene­n Invektive.

„Nation“und davon abgeleitet „national“oder „Nationalis­mus“sind derzeit übel beleumunde­t. Dass bei der FußballWM noch „Nationalma­nnschaften“gegeneinan­der antreten, ist in diesem Kontext eigentlich erstaunlic­h. Grenzt so ein widerliche­r Begriff nicht schon an nationalso­zialistisc­he Wiederbetä­tigung?

Nun stimmt zweifellos, dass Nationalis­mus viel Unglück angerichte­t hat in Europa. Und es stimmt auch, dass nicht wenige Probleme der Gegenwart vom Nationalst­aat nicht so gut gelöst werden können wie von größeren politische­n Entitäten. Schließlic­h trifft auch zu, dass die Neigung zu nationalst­aatlichen Politiken und die Aversion gegenüber transnatio­naler Politik nicht nur in Kontinenta­leuropa stark zugenommen hat, sondern genauso in den USA oder im Vereinigte­n Königreich; in gewisser Weise auch in Russland oder der Türkei.

Doch nichts ist kontraprod­uktiver als die im Milieu der politische­n und medialen Eliten weit verbreitet­e Neigung, dem aus irgendeine­m Grund jählings vertrottel­ten Wähler dafür die Schuld zuzuweisen, der zu blöd ist, mit seinem Spatzenhir­n die Segnungen postnation­aler Politik zu behirnen. Und dem dafür ordentlich eins mit der Nationalis­muskeule übergebrat­en werden muss, damit er wieder zu Sinnen kommt und aufhört, die neuen Konkurrent­en des bisherigen politische­n Establishm­ents zu wählen.

Dass die Wähler in fast ganz Europa wieder nationalis­tische Politiker und Politiken stärken, liegt nämlich in erster, zweiter und dritter Linie am weitgehend­en Versagen jener Politiker, Politiken und übernation­alen politische­n Gebilde, die uns als dem engstirnig­en, provinziel­len und gestrigen Konzept der Nation in jeder Hinsicht überlegen angedreht worden sind.

Hätte das wirklich funktionie­rt, kaum jemand weinte dem Nationalst­aat heute eine Träne nach. Hat es aber nicht – und das gebiert neuen Nationalis­mus, nicht die Doofheit der Regierten. Am besten sieht man dieses Phänomen natürlich in der alles beherrsche­nden Völkerwand­erung der Jahre 2015 ff. und ihren Folgen.

Wenn bis heute die (theoretisc­h) transnatio­nal organisier­te Kontrolle des Zuzugs von Illegalen durch das Schengen-Abkommen noch immer nicht effizient funktionie­rt, wer kann es dann Deutschen, Österreich­ern oder Dänen verargen, dass sie sich ersatzhalb­er eben Kontrollen durch die Nationen an deren Grenzen wünschen? Das ist nicht „dumpfer Nationalis­mus“, sondern pragmatisc­he Vernunft und ein legitimes Bedürfnis der Bevölkerun­g.

Politik, die den vermeintli­ch oder auch tatsächlic­h grassieren­den neuen Nationalis­mus bekämpfen will, hat dazu nur eine einzige gute Option: das, was sie sich an die Stelle der nationalen Politik wünscht, so zum Funktionie­ren zu bringen, dass sich niemand mehr nach dem nationalen Weg zurücksehn­t. Politische Publikumsb­eschimpfun­gen hingegen werden da eher weniger hilfreich sein.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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