Maler, Modell und zwei Küsse
DWer traf wen? Mit welchen literarischen Werken wurde der Maler berühmt? Welchen politischen Kurs verfolgte der Deutsche? Wer war sein Nachfolger?
Qer Künstler hat keine Lust, drei Wochen in Bonn zu verbringen, um dort das neue Porträt zu malen. Doch soll auch nicht sein Modell extra zu ihm nach Villeneuve an den Genfer See reisen müssen. So treffen sie sich in Candenabbia am Comer See, wo der Deutsche seine Ferien zu verbringen pflegt.
Als der Maler mit seiner Frau dort eintrifft, öffnen ihm zwei italienische Sicherheitsbeamte das Parktor zur Villa. Das Speisezimmer, der einzige Raum des Hauses mit riesigen Fenstern, wird zum Atelier umfunktioniert, und einen Tag später treffen einander Modell und Maler zur ersten Sitzung. Der Deutsche will sich unbedingt stehend malen lassen, trotz seines Alters.
Beide Männer weisen schon ein recht stattliches Alter auf: 80 und 90 Jahre. Aber sie sind zäh und haben einiges hinter sich. Der eine, einst als „entarteter“Künstler geächtet und verfolgt, hat die NS-Zeit im Exil überlebt. Der andere ist in Deutschland geblieben, obwohl ihn die Nazis 1933 seines Amtes als Oberbürgermeister von Köln enthoben hatten. Nach seinen großen Jahren in der Nachkriegspolitik ist er nun pensioniert und hat Zeit, Modell zu stehen und Boccia zu spielen.
Mit dem Maler schließt er nur zögernd Freundschaft, denn er ist ein zurückhaltender Mann, dem Takt und gute Manieren wichtig sind. Als das Bild, das im Bundestag in Bonn hängen soll, fertig ist, freut er sich und ist höchst zufrieden. Der österreichische Maler, der seit Jahren in der Schweiz lebt, genehmigt sich darauf einen Whisky. „Und ich kriege nichts?“, beschwert sich der Deutsche. An seinen geliebten Rheinwein gewöhnt, versucht er nun ebenfalls einen Scotch. Er leert sein Glas in einem Zug und ist plötzlich nicht mehr zu halten. Wie von Sinnen springt er auf den Künstler zu, umarmt ihn und küsst ihn zu dessen Verblüffung überschwänglich auf beide Wangen.
Die Fotografen, die das Anwesen bereits seit Wochen vergeblich belagert haben und nun erstmals ins Haus gebeten werden, drücken ab und sind glücklich. Eine Serie ungewöhnlicher Fotos erreicht die Agenturen. Der Deutsche weilt danach nur noch ein Jahr auf Erden.