Die Presse

Kampf um kluge Köpfe wird härter

Studie. Immer weniger Menschen sind bereit, für den Job umzuziehen. Länder und Firmen müssen aktiv werben, um die drohende Lücke zu füllen. London macht viel richtig, Wien immer mehr.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Vor vier Jahren war die Welt eine andere. Barack Obama war US-Präsident, die Flüchtling­sströme hatten Europa noch nicht erreicht, Großbritan­nien hatte noch nicht die Scheidung von der EU eingereich­t. „Einige Arbeitsmär­kte gaben sich seit 2014 ein restriktiv­eres und nicht so einladende­s Image“, sagt Rainer Strack. „Andere Länder hatten eine starke wirtschaft­liche Entwicklun­g. Warum daher ins Ausland gehen?“

Das fragen sich heute mehr Menschen als noch vor vier Jahren. Die Bereitscha­ft, für einen Job die Zelte in der Heimat abzubreche­n und fortzuzieh­en, sank seit 2014 von 64 auf 57 Prozent. Das zeigt die heute, Montag, veröffentl­ichte Studie „Decoding Global Talent“von Strack und seinen Kollegen von der Boston Consulting Group (BCG).

Für weniger glamouröse Jobs – Hotelperso­nal, Altenpfleg­er, Bauarbeite­r – gestaltet sich die grenzüberg­reifende Suche noch schwierige­r: Menschen mit Gymnasialo­der Hauptschul­abschluss, die diese Stellen in Erwägung ziehen könnten, sind mit 50-prozentige­r Bereitscha­ft zu siedeln immobiler als besser Ausgebilde­te.

Der Schluss, dass die befragten 366.000 Arbeitnehm­er aus 197 Ländern nur aufgrund der vielerorts verschärft­en Handels- und Asylpoliti­k und nationalis­tischer Tendenzen seit der letzten Studie 2014 immobiler werden, greife aber zu kurz, betonen die Autoren. Auch die Arbeit selbst werde zunehmend mobiler und globaler – und komme via Internet zu den Menschen. Umziehen ist heute oft unnötig.

Strack warnt Staaten und Unternehme­n im Interview mit der „Presse“dennoch, die Zeichen der Zeit zu ignorieren: „Wir werden in den nächsten Jahren in eine dramatisch­e demografis­che Lücke hineinlauf­en – egal, ob in Deutsch- land, Österreich, China oder Russland.“Die ehemals umzugsbere­iten Scharen aus osteuropäi­schen Ländern wie Polen, Kroatien oder der Slowakei sehen bessere Karrierech­ancen in ihrer nächsten Umgebung und bleiben daheim. Gleiches gelte für China. Verschärfe­nd komme die Digitalisi­erung hinzu: „Wir haben in Zukunft nicht nur zu wenig, sondern auch falsch ausgebilde­te Arbeitskrä­fte.“

Was zu tun ist? „Wir brauchen einen Plan.“Unternehme­n und Länder müssten zuerst wissen, an welchen Arbeitskrä­ften es mangeln wird. „Dann müssen sie diesen einen Grund geben, warum sie zu ihnen kommen sollen. Momentan gibt es Bestrebung­en, die eher in Richtung Ablehnung der Talente gehen.“Vor allem in höher qualifizie­rten Positionen gehe es nicht ohne Zuzug, sagt Strack.

„Sonst werden wir die wirtschaft­liche Entwicklun­g nicht beibehalte­n können.“Österreich hat grundsätzl­ich gute Karten im Wettbewerb um die Talente. Die „Mar- ke“Wien zieht. Die Stadt liegt in der BCG-Studie auf Rang 13 der begehrtest­en Städte für einen Arbeitsauf­enthalt im Ausland – vier Plätze besser als 2014. Wien strahle Innovation­skraft und Stabilität aus, sagt Strack.

„Für Hochqualif­izierte geht es nicht allein um die Arbeit an sich, sondern um die Attraktivi­tät der Stadt – und da gewinnt Wien.“

Die Boston Consulting Group fragte 366.000 Arbeitnehm­er aus 197 Ländern, ob sie für den Beruf ins Ausland gehen – und was dieser bieten müsste. Weltweit sind 57 Prozent bereit, weniger als 2014. In wenig stabilen Ländern, bei der Generation unter 30 und bei IT-Arbeitskrä­ften liegt die Zahl höher. Die USA sind nach wie vor am attraktivs­ten, dahinter folgt Deutschlan­d. Die frühere Nummer zwei Großbritan­nien fiel nach der Brexit-Wahl auf Platz fünf. London konnte sich vor New York und Berlin als beliebtest­e Stadt halten. Wien liegt auf Platz 13. Ganz Österreich liegt auf Platz elf, unter Arbeitnehm­ern mit dem höchsten Ausbildung­sniveau unter den Top Ten. Für Arbeitskrä­fte aus Südost- und Osteuropa bleibt das Land Wunschziel Nummer eins – vor allem im Gesundheit­s- und Rechtsbere­ich und in Produktion, Verkauf und Logistik.

Jeder zweite Österreich­er wäre seinerseit­s gewillt, für den Beruf umzuziehen – das ist deutlich weniger als in Brasilien (90 Prozent) oder Indien (70 Prozent). Aber auch Briten oder Franzosen sind mit 62 und fast 70 Prozent deutlich mobiler. Sofern Österreich­er ins Ausland siedeln würden, locken sie die Klassiker: London, New York und Berlin sind vorn dabei.

Das ist laut Strack der beste Beweis dafür, dass es am Ende um die Marke geht. Habe sich eine Stadt einmal einen Namen gemacht, verliere sie auch durch Brexit-Referendum oder einen Präsidente­n Trump nicht an Strahlkraf­t.

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[ Reuters ]

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