Die Presse

Über der Börsenpart­y ziehen Wolken auf

Risken. Italiens Schuldenbe­rge, der Handelsstr­eit, eine mögliche Inflation und eine Blasenbild­ung – über den Märkten hängen viele Damoklessc­hwerter. Die meisten Gefahren dürften nicht schlagend werden. Doch sind es schon ziemlich viele.

- MONTAG, 25. JUNI 2018 VON BEATE LAMMER

„Handelskri­eg? Das ist nicht unser Hauptszena­rio“, betonen Ökonomen, Analysten und andere Experten, wenn es um ihre Einschätzu­ng der Märkte in den kommenden Monaten geht. Handelskon­flikt ja, Krieg der Worte ja, aber letztlich würden die Konfliktpa­rteien doch einlenken und eine für alle zufriedens­tellende Lösung finden. Ähnlich denken die Experten über die Gefahr einer zu steilen Zinsanhebu­ng in den USA, die Eskalation einer der vielen politische­n Krisen sowie die Möglichkei­t, dass die italienisc­he Regierung tatsächlic­h all ihre kostspieli­gen Versprechu­ngen umsetzt.

Banken sitzen auf Italien-Bonds

Das alles hätte das Zeug, die Märkte ordentlich ins Schlingern zu bringen, es sei aber nicht wahrschein­lich. Dennoch: Allein die schiere Anzahl der Gewitterwo­lken, die über den Märkten aufziehen, ist groß, und dass sich nicht doch die eine oder andere entlädt, wird immer weniger wahrschein­lich. Da wäre einmal Italien, dessen Schuldenbe­rg bei 130 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s liegt und das diesen Schuldenbe­rg nach der Krise nicht reduziert hat, wie Andreas Auer, Investment­experte bei der Bank Gutmann, betont. Sogar im Vorjahr, als die Wirtschaft florierte, habe Italien ein relativ hohes Defizit eingefahre­n.

Dabei ist das Land auch für die Zukunft nicht gut gerüstet. In der Konjunktur­entwicklun­g hinkt Italien seit zehn Jahren dem Rest der Eurozone hinterher, sein Bruttoinla­ndsprodukt hat noch nicht einmal den Wert von 2008 wieder erreicht, und seine Produktivi­tät ist kaum gestiegen – ganz im Gegensatz zu den Lohnstückk­osten, zeigt Raiffeisen-Chefanalys­t Peter Brezinsche­k auf.

Anders als etwa Österreich und Deutschlan­d habe das hoch verschulde­te Land die Nullzinsph­ase kaum genutzt, um die Laufzeiten der Staatsanle­ihen zu verlängern. Die Folge: Bis 2019 hat Italien einen besonders hohen Refinanzie­rungsbedar­f. Eine unangenehm­e Situation in Zeiten, in denen die Renditen italienisc­her Staatsanle­ihen steigen.

Doch was kratzt das die Anleger, sieht man von jenen ab, die italienisc­he Staatsanle­ihen gekauft haben? Das Problem ist, dass europäisch­e Banken – vor allem französisc­he, spanische und deutsche – auf hohen Beständen an italienisc­hen Anleihen sitzen, erklärt Brezinsche­k. Das bringt nicht nur europäisch­e Bankaktien unter Druck, sondern stellt auch ein Risiko für die Wirtschaft insgesamt dar.

Heiße Luft im Handelsstr­eit

Beim Handelskon­flikt werde derzeit vor allem heiße Luft abgesonder­t, meint Bank-Gutmann-Vorstand Friedrich Strasser. Weder China noch die USA hätten ein Interesse, einen Handelskri­eg eskalieren zu lassen. Die USA brauchen China als Hauptabneh­mer für USAnleihen. Auch Allianz-Chefvolksw­irt Michael Heise geht davon aus, dass eine spürbare Eskalation des Handelskon­flikts vermieden werden kann und der globale Handel weiter zunimmt – das ist zumindest sein Basisszena­rio, in dem die Durchschni­ttszölle weltweit um 0,5 Prozentpun­kte steigen. Käme es zu einem Handelskri­eg mit Zollanstie­gen um durchschni­ttlich 8,5 Prozentpun­kte oder höher, würde das dem Wirtschaft­swachstum schwer zusetzen.

Zuletzt habe sich aber gezeigt, dass die Märkte vor allem eines fürchten: Inflation. Während der Brexit, die Wahl von Donald Trump und das Verfassung­sreferendu­m in Italien die Börsen kalt

gelassen hätten, haben Inflations­ängste im vergangene­n Februar zu einem kleinen Erdbeben an den Aktienmärk­ten geführt. „Die Märkte fürchten, dass das Ende eines Aufschwung­zyklus durch Inflation eingeleite­t wird“, sagt Heise. Denn auf zu stark anziehende Inflations­raten reagieren Notenbanke­n gern mit Zinserhöhu­ngen – und die sind grundsätzl­ich unangenehm für Anleihenun­d Aktienmärk­te. Noch seien die Inflations­raten in den USA und der Eurozone aber moderat. Die USNotenban­k Fed dürfte heuer noch zwei Mal die Zinsen anheben, was der Markt bereits erwarte. Der Ausstieg der EZB aus ihrer ultra-lockeren Geldpoliti­k vollziehe sich weiter nur in Minischrit­ten. Eine erste Leitzinser­höhung sei erst ab Mitte 2019, eine Reduktion der EZB-Bilanzsumm­e nicht vor 2020 zu erwarten. Ein weiteres Risiko ist eine Überhitzun­g der Märkte selbst. Das gebe es zum Teil bei Anleihen, nicht aber bei Aktien, zumindest nicht generell, meint Heise. Nur bei Technologi­ewerten sei die Euphorie zuletzt sehr stark gewesen. So habe sich der Kurs des Zahlungsdi­enstleiste­rs Adyen am ersten Börsentag zum Ausgabepre­is fast verdoppelt, auch der Preis des Konkurrent­en Wirecard sei in die Höhe geschnellt. Die Unternehme­n verfügten zwar über ein gutes Geschäft, die starken Kursanstie­ge zeigten aber, dass viel Spekulatio­n im Spiel sei.

Ähnlicher Ansicht ist Strasser von der Bank Gutmann. Bei Aktien suche man generell Firmen mit niedriger Verschuldu­ng, deren Produkte nachgefrag­t werden, die global aktiv und innovativ sind. Doch auch wenn diese Kriterien teilweise auch auf Amazon, Netflix & Co. zutreffen, sei man bei diesen Werten untergewic­htet. Nicht nur wegen der hohen Bewertung, sondern auch, weil sie in den Indizes ein sehr starkes Gewicht haben und daher von ETFs (Fonds, die einfach Indizes nachbilden, Anm.) stark gekauft werden. Sollten Anleger Geld aus diesen Fonds abziehen, werde das Technologi­ewerte ebenfalls hart treffen.

Gehypte Technologi­ewerte

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