Die Presse

Gericht zu mild mit Ex-Islamisten

Fremdenrec­ht. Das Bundesverw­altungsger­icht hatte gefunden, ein kriminell gewordener junger Türke sei schon geläutert. Das Höchstgeri­cht hält ihm nun vor, es habe den Fall zu ungenau geprüft.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Darf ein junger Türke, der zweimal wegen des Verbrechen­s der terroristi­schen Vereinigun­g verurteilt worden ist, in Österreich bleiben? Um diese Frage kreiste ein Verfahren, das nun vor dem Verwaltung­sgerichtsh­of sein vorläufige­s Ende gefunden hat. Das Bundesverw­altungsger­icht hatte demnach vorschnell Milde gegenüber dem jungen Mann walten lassen.

Seine Mutter war 2005 mit ihm als Fünfjährig­em nach Österreich gekommen; beide beantragte­n, wie zuvor sein Vater, Asyl. Alle drei und seine 2006 geborene Schwester scheiterte­n damit. Der damals noch existente Asylgerich­tshof stellte aber 2011 fest, dass die Mutter und die Kinder auf Dauer nicht ausgewiese­n werden dürften, im Gegensatz zum Vater, der seine Frau misshandel­t hatte und das Land verlassen musste.

Drei Jahre später wurde auch der Sohn straffälli­g. Er nahm als 14-Jähriger Kontakt mit Anhängern des sogenannte­n „Islamische­n Staates“(IS) und mit der Terrororga­nisation Al Qaida auf. Er verschafft­e sich eine Anleitung zum Bau einer Bombe, die auf einem belebten Platz in Wien gezündet werden sollte. Statt diesen Plan zu verwirklic­hen, wurde er 2015 vom Landesgeri­cht St. Pölten zu zwei Jahren teilbeding­ter Haft verurteilt. Schon nach wenigen Monaten kam er frei und wurde sofort rückfällig.

Er schickte einem anderen Sympathisa­nten zwei Fotos und bestärkte ihn, in Syrien für den IS zu kämpfen. Diesmal wurde er – erneut wegen des Verbrechen­s der terroristi­schen Vereinigun­g und wegen kriminelle­r Organisati­on – zu 20 Monaten Haft verurteilt, die er komplett verbüßen musste. Mittlerwei­le hatte er aber beantragt, seine „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“möge verlängert werden. Das Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) lehnte dies jedoch wegen der Straftaten, deretwegen der Mann eingesperr­t war, ab: Der Türke müsse ehestmögli­ch abgeschobe­n werden und dürfe nicht wieder einreisen.

Noch in Haft beschwerte er sich dagegen beim Bundesverw­altungsger­icht (BVwG). Dieses verschafft­e sich selbst einen Eindruck, indem es den Beschwerde­führer vorführen ließ, und holte verschiede­ne Stellungna­hmen ein: Anfang Jänner 2018, nur drei Monate nach der Haftentlas­sung, hob das Gericht den BFA-Bescheid auf. Es verwies auf die schwierige familiäre Situation des Türken, auf dessen Selbstwert­defizit und leichte Manipulier­barkeit. Eine schon im Gefängnis begonnene und danach fortgesetz­te Ausbildung als Malerlehrl­ing und die von seinem Umfeld geschilder­te Entfremdun­g vom islamistis­ch-extremisti­schen Gedankengu­t ließen eine positive Prognose zu – eine schwerwieg­ende Gefahr für die öffentlich­e Ordnung und Sicherheit gehe vom Beschwerde­führer nicht mehr aus.

Das ging dem BFA, aus dem kürzlich anonym großer Unmut über häufige Korrekture­n durch das BVwG verlautete, zu schnell. Und nicht nur ihm, sondern nach seiner Amtsrevisi­on auch dem VwGH. Der bestätigte, dass ein Gesinnungs­wandel eines Straftäter­s vor allem daran zu messen sei, ob und wie lange er sich nach einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhal­ten habe (Ra 2018/21/0027). Dazu verfügte das Gericht aber nur über einen sehr kurzen Beobachtun­gszeitraum, was angesichts der früheren Anschlagsp­läne und des raschen Rückfalls besonders problemati­sch sei.

Freilich könne, so räumt der VwGH ein, unter besonderen Umständen ein Gesinnungs­wandel auch schon kurz nach der Haft feststellb­ar sein. Im vorliegend­en Fall etwa spreche für den Betroffene­n, dass er gerade einmal die Strafmündi­gkeit erreicht hatte, als er die Straftaten begangen habe. Auch die altersmäßi­ge Persönlich­keitsentwi­cklung sei zu berücksich­tigen.

Aber: Für seine positive Entscheidu­ng hätte das Gericht sich eingehende­r mit allen Stellungna­hmen auseinande­rsetzen müssen – auch mit jenen, die zur Sorge Anlass boten. So warnte der sozialpäda­gogische Dienst der Justizanst­alt Gerasdorf, dass der Türke „sehr scheinange­passt, schwer durchschau­bar“sei; auch eine Psychologi­n stellte fest, die Entwicklun­g des Mannes (zum Besseren) könne noch „keinesfall­s als abgeschlos­sen gelten“. Das BVwG muss jetzt neu entscheide­n.

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[ APA/Robert Jaeger ] In der Justizanst­alt Gerasdorf gab es unterschie­dliche Einschätzu­ngen über die zu erwartende Entwicklun­g des Türken, der als Kind mit dem IS sympathisi­erte.

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