Die Presse

Im Bann der Planen und Termiten

Film. „Tarpaulins“, ein Essayfilm der Wienerin Lisa Truttmann, lässt sich von bunten Häuser-Abdeckplan­en in Los Angeles zu einem irrlichter­nden Gedankenpa­rcours verleiten.

- VON ANDREY ARNOLD

Unübersehb­ar prangen sie zwischen den Reihenhäus­ern von Los Angeles. Ihre dicken Häute aus Persenning heben und senken sich wie Flanken riesenhaft­er Fabelwesen, bunte Zebrastrei­fen wallen im Wind. Der Anblick macht neugierig: Hat sich ein Zirkusunte­rnehmen im Standort geirrt? Ist es ein Kunstproje­kt im Geiste Christos? Das fragte sich die Wiener Filmemache­rin Lisa Truttmann, als sie im Zuge ihres Studiums am California Institute of the Arts erstmals auf diese farbenfroh­en Zelte stieß, die deutlich aus dem Weichbild von L. A. hervorstac­hen. Ihr Ursprung? Die Desinfekti­on von Wohnhäuser­n. Abdeckplan­en verhindern den Austritt des Giftgases, das Termiten den Garaus machen soll. Bunt sind Ein sie schlicht, weil das schöner aussieht. Eigentlich recht prosaisch und in Kalifornie­n seit langem Praxis – aber dennoch apart genug, um zum Spintisier­en anzuregen.

Und Truttmanns CalArts-Abschlussf­ilm „Tarpaulins“lässt sich nicht zweimal bitten. Er philosophi­ert mit großem Vergnügen drauflos, lässt sich von den bunten Gebilden zu einem Gedankenpa­rcours verleiten, der jede Abschweifu­ng als Gelegenhei­t sieht, sein schillernd­es Themenspek­trum zu erweitern. Dies ist keine Doku über Zeltplanen (was zugegebene­rmaßen alles andere als verlockend klingt), sondern ein Filmessay a` la Chris Marker, der verschlung­ene Assoziatio­nswege durch sein eigenes Erzählgehä­use bahnt – ohne Rücksicht auf dessen Stabilität.

Wer jetzt an die schon erwähnten Termiten denkt, liegt natürlich nicht falsch. „You think like a termite – you’re kind of all over the place“, sagt eine Stimme des polyfonen, englischsp­rachigen Off-Kommentars an einer Stelle. Eine Anspielung auf einen Aufsatz des Filmkritik­ers Manny Farber, in dem brüchige, subversiv wuselnde Termitenku­nst monumental­er „White Elephant Art“entgegenge­stellt wird. „Tarpaulins“verortet sich mit seinem sprunghaft­en Montagesti­l dezidiert auf der Insekten-Seite.

Während sich auf der Bildebene Ansichten greller Faltenwürf­e, Blicke hinter die Kulissen der Abdeckung und flächige Großaufnah­men zerfressen­er Bretter munter abwechseln, lässt die verspielte Tonspur den Überlegung­en der Regisseuri­n ebenso freien Lauf wie den Betrachtun­gen verschiede­nster Interviewp­artner. Kammerjäge­r erklären ihre Zunft, mexikanisc­he Dacharbeit­er skizzieren ihre Herkunft. Ein Entomologe sinniert über das Wesen der Schädlinge, die aus Naturpersp­ektive nur „ihren Job machen“. Auch ein Atmosphäre­nchemiker kommt zu Wort. So entsteht Stück für Stück ein kaleidosko­pisches L. A.-Porträt, das man auch als Ergänzung zu Thom Andersons Filmmetrop­olenerkund­ung „Los Angeles Plays Itself“sehen kann (Anderson unterricht­et am CalArts, Truttmann nennt ihn in einem Interview als Ideengeber). Es versammelt etliche ungewöhnli­che Perspektiv­en auf die Stadt – interessan­t sind aber beileibe nicht alle davon. Manchmal droht die 74 Minuten kurze Ideenprome­nade in ihrer kursorisch­en Zerstreuth­eit komplett zu zerbröseln. Dann beschleich­t einen der Gedanke: Nur weil einem etwas ins Auge fällt, muss man nicht gleich einen Film darüber machen. Aber „Tarpaulins“bietet genug Einfälle, um diesen Gedanken zu unterdrück­en – und Neugierde zu wecken auf Truttmanns nächsten Film.

 ?? [ Filmgarten ] ??
[ Filmgarten ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria