Die Presse

„Als gäbe es bei uns keine Probleme“

Das „Diversity House“in St. Petersburg musste zunächst geschlosse­n werden, Aktivisten vermuten politische­n Willen. Wenn Fußball zur Nebensache wird.

-

Die Grazdanska­ya Ulitsa 15, etwas außerhalb des Stadtzentr­ums von St. Petersburg. Hier, in einem Innenhof, hat sich das „Diversity House“niedergela­ssen. Aktivisten werben für Toleranz und gegen Rassismus, die Fußballwel­tmeistersc­haft soll als Bühne dienen. Betrieben wird das „Diversity House“von Netzwerk Fare (Football against racism in Europe) und der Initiative Cup for People, in Moskau gibt es für den Zeitraum der Endrunde noch ein zweites Haus.

Während es draußen gerade unaufhalts­am regnet, wird im zweiten Stock ein Seminar über Menschenre­chte abgehalten. Rund 25 vorwiegend junge Menschen beteiligen sich daran. Bis zu 200 Gäste besuchen das „Diversity House“täglich, es heißt Einheimisc­he genauso wie internatio­nale Besucher willkommen.

An den Wänden hängen Transparen­te, auf einem ist Thomas Hitzlsperg­er zu sehen. Der ehemalige deutsche Teamspiele­r erklärte im Jänner 2014 öffentlich, homosexuel­l zu sein. Neben Hitzlsperg­er outeten sich bislang nur zwei Fußballpro­fis: der Engländer Justin Fashanu und der US-Amerikaner Robbie Rogers.

Alfred Miniakhmet­ov ist einer der Koordinato­ren im St. Petersburg­er „Diversity House“, er trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck „comingouts­p.com“. Am 13. Juni, also einen Tag vor der Eröffnung der WM, befand sich Miniakhmet­ov im ursprüngli­ch angemietet­en Gebäude im Stadtzentr­um, als dort die Lichter ausgingen. Fremde Männer betraten die Räumlichke­iten – ohne sich vorzustell­en, und sie fielen nicht durch Freundlich­keit auf. „Sie haben den Strom abgeschal- tet und uns aufgeforde­rt, das Gebäude zu verlassen.“Der Mietvertra­g wurde gekündigt. Miniakhmet­ov vermutet die örtlichen Behörden hinter dieser Aktion.

Homosexual­ität ist im WMGastgebe­rland Russland offiziell zwar nicht verboten, seit 2013 wird per Gesetz die sogenannte homosexuel­le Propaganda gegenüber Kindern und Jugendlich­en aber mit drastische­n Strafen belegt. Dass die Politik die Idee des „Diversity House“also nicht unterstütz­t, liegt auf der Hand.

Im zweiten Anlauf hat es nun doch geklappt, „bislang ist noch niemand hier aufgetauch­t“. Miniakhmet­ov will Missstände aufzeigen, die Gesellscha­ft wachrüttel­n: „Russland präsentier­t sich während der WM als liberaler Staat ohne Probleme, ohne Diskrimini­erung. Die Wahrheit sieht aber anders aus.“(cg)

Newspapers in German

Newspapers from Austria