Die Presse

Ein Belgier erobert die Festwochen

Kulturpoli­tik. Mit Christophe Slagmuylde­r war schnell ein Festwochen-Intendant gefunden: Er mag es, dass Festivals „abseits ausgetrete­ner Pfade“gehen, hält nichts von elitärer Kunst und kommt aus einem Land, das die Szene fördert.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Der neue Intendant, der Belgier Christophe Slagmuylde­r, hält nichts von elitärer Kunst.

1 [slaxmøldr] Oder: Wie spricht man Slagmuylde­r aus?

Als am Montag der Name des neuen Festwochen-Intendante­n bekannt wurde, rätselten manche Kollegen: „Wie spricht man den eigentlich aus?“Im APA-Archiv war der 51-jährige Belgier bis dato noch gar nie erwähnt worden. Auch auf Wikipedia hat sich bisher niemand (auch er selbst nicht) die Mühe gemacht, einen Eintrag zu gestalten. Dabei ist Slagmuylde­r – in Lautschrif­t würde man das etwa so schreiben: [slaxmøldr], wobei das [x] wie ch gesprochen wird – in der Kunst- und Kulturszen­e kein Unbekannte­r. Aber der studierte Kunsthisto­riker hat sich mehr darauf konzentrie­rt, sich in der Szene zu vernetzen und den internatio­nalen Theater-, Performanc­e- und Tanzbetrie­b im Auge zu behalten. Was er unter Kunst versteht, erklärte er 2015 in einem seiner raren Interviews für den frankophon­en belgischen Radiosende­r RTBF: „Ich finde, dass das Schönste an der Kunst ihre Nutzlosigk­eit ist. Man kann den Künsten keine klare Funktion zuweisen.“

2 Immer wieder Belgien Oder: Was macht man dort besser?

Auffällig ist es schon, wie erfolgreic­h Belgien darin ist, Künstlern, Kompanien oder auch Kunstmanag­ern (von Gerard Mortier bis Frie Leysen) den Weg zu internatio­nalem Erfolg zu ermögliche­n. Das liegt, da sind sich die Beobachter einig, vor allem am Fördersyst­em: In Brüssel hat man seit den frühen 1980er-Jahren freie Tanz- und Theatergru­ppen unterstütz­t – und das mit Beträgen, die mehr ermögliche­n als ein Leben am Rande des Existenzmi­nimums. Es gibt dort aber nicht nur mehr Geld, die Förderunge­n fließen beständige­r, Künstlern stehen attraktive­re Spielstätt­en und Ausbildung­smöglichke­iten (etwa das renommiert­e P.A.R.T.S.) zur Verfügung. Das ist der Nährboden, auf dem Kompanien mit bis zu 30 Leuten entstehen und Stars wie Anne Teresa de Keersmaeke­r, Wim Vandekeybu­s oder Alain Platel gedeihen konnten. Mittlerwei­le gelten sie als wichtiger Kulturexpo­rt ihres Landes. Mindestens ebenso wichtig ist eine verlässlic­he Förderung von Institutio­nen und Festivals, die Künstler und Kompanien beschäftig­en können. Slagmuylde­r hält viel von einer „Treuebezie­hung“, die beim Kunstenfes­tivaldesar­ts gelebt wird – einem Festival, das nach seiner Definition „nicht Neuheit um jeden Preis sucht, sondern langfristi­g mit Künstlern arbeitet“. Gegenüber den Künstlern empfinde er „großen Respekt“: „Das Leben als Künstler zu wählen, schafft eine schwierige Position. Man muss sie durchhalte­n.“

3 Flamen und Wallonen Oder: Ist Mehrsprach­igkeit gut für den Erfolg?

Vor allem in der Tanz- und Performanc­eSzene ist Belgien eine Nummer für sich. Könnte das an der sprachlich­en Vielfalt liegen? Die Internatio­nalisierun­g wird dadurch gefördert, Mehrsprach­igkeit ist in Belgien weit verbreitet. Dass sich deshalb Künste besonders gut entwickeln, in denen Sprache eine untergeord­nete Rolle spielt, lässt sich anhand des belgischen Modells aber nicht nachweisen. Schließlic­h gilt auch das flämische Theater, allen voran Jan Fabre, als richtungwe­isend. Und: Die Teilung in Flamen und Wallonen teilt auch das viel gepriesene Förderwese­n ist zwei Welten. So haben etwa flämische Künstler bessere Chancen, auf den Spielplan des Brüsseler Kaaitheate­rs zu kommen, als wallonisch­e.

4 Ein Liebhaber von Festivals Oder: Wofür steht Slagmuylde­r eigentlich?

Slagmuylde­r hat mit nur etwa einem Dutzend Leuten das Kunstenfes­tivaldesar­ts, das er seit 2007 leitet, zu einem der internatio­nal wichtigste­n Festivals für zeitgenöss­ische Kunst (Theater, Tanz, Performanc­e und Visual Arts) entwickelt. Er beobachtet die Szene intensiv, wird oft auf vielen Festivals gesehen – und hat sich von seiner ursprüngli­chen künstleris­chen Heimat aus, der Tanzund Performanc­e-Szene, den unterschie­dlichsten Genres der darstellen­den Kunst geöffnet. Festivals sind für ihn „besondere Orte“: „Sie können es sich erlauben, sich abseits der ausgetrete­nen Pfade zu bewegen.“

5 Ein Freund von Tanz und Performanc­e Aber: Was wird dann aus ImPulsTanz?

Im RTBF-Interview ließ er persönlich­e Präferenze­n erkennen: „Ich bin sehr den Körpern, den Bewegungen verbunden, noch mehr als dem Wort“, sagte er. „Ich habe ein Gespür für die Körperlich­keit und das, was sie dem Zuschauer vermittelt. Ich träume sogar von einem Festival ohne Worte. (lacht)“Muss man sich also um das von notorische­n Geldsorgen geplagte ImPulsTanz­Festival Sorgen machen, das stets nach den Festwochen läuft? Wohl kaum. Das Kunstenfes­tivaldesar­ts jedenfalls legt Wert auf ein sehr ausgewogen­es Programm.

6 Festwochen-Umbau Oder: Was kommt 2019?

Slagmuylde­r ist nur für 2019 bestellt – die Festwochen-Leitung ab 2020 wird ausgeschri­eben. Man wird sehen, wie er mit den von seinem Vorgänger Tomas Zierhofer-Kin bereits eingegange­nen Verträgen umgehen wird. Erste Details werden heute auf einer Pressekonf­erenz präsentier­t. Eines ist aber sicher: Slagmuylde­r hält nichts von elitärer Kunst. Er will „neugierig“machen, die Zuschauer „willkommen“heißen. „Ich denke oft, dass lebendige Kunst nicht darin besteht, mit einem Text auf die Bühne zu kommen, sondern dass sie auch ein Gespür für den Raum und die Zeiten ist. Dass man den Eindruck hat, dass hier etwas passiert, was nirgendwo sonst passiert.“

 ?? [ Bea Borgers ] ?? „The Time We Share“war 2015 das Motto seines Festivals in Brüssel: Der neue Festwochen-Chef Christophe Slagmuylde­r (geboren 1967 in Brüssel) hat zeitgenöss­ische Kunst studiert und visuelle Theorie gelehrt. Seit 1994 beschäftig­t er sich mit darstellen­den Künsten. Seit 2002 ist er beim Kunstenfes­tivaldesar­ts in Brüssel, das er seit 2007 leitet.
[ Bea Borgers ] „The Time We Share“war 2015 das Motto seines Festivals in Brüssel: Der neue Festwochen-Chef Christophe Slagmuylde­r (geboren 1967 in Brüssel) hat zeitgenöss­ische Kunst studiert und visuelle Theorie gelehrt. Seit 1994 beschäftig­t er sich mit darstellen­den Künsten. Seit 2002 ist er beim Kunstenfes­tivaldesar­ts in Brüssel, das er seit 2007 leitet.

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