Die Presse

Protestwel­le im Iran: „Lasst ab von Syrien, tut etwas für uns“

Währungsve­rfall. Basarhändl­er lassen die Rollbalken herunter. Wohlhabend­e bringen ihr Geld außer Landes.

- Von unserem Mitarbeite­r MARTIN GEHLEN

Tunis/Teheran. Teherans mächtige Basarhändl­er sind auf den Barrikaden. Seit drei Tagen machen sie ihre Geschäfte dicht. Die iranische Währung steht vor dem Kollaps, viele fürchten um ihre Existenz. Wie schon am Montag, zogen auch am Dienstag wieder wütende Demonstran­ten durch die Straßen der Hauptstadt. „Wir wollen eine kompetente Regierung“, skandierte die Menge. Auch „Tod dem Diktator“-Rufe sind auf den Videos zu hören, die dem Obersten Revolution­sführer, Ali Khamenei, gelten.

Andere forderten ein Ende der kostspieli­gen Auslandsab­enteuer: „Lasst ab von Syrien, tut etwas für uns!“An vielen Kreuzungen Teherans zogen Sicherheit­skräfte auf und versuchten die Menschen mit Tränengas zu zerstreuen. Videos, die im Internet kursieren, zeigen brennende Müllcontai­ner und eine aufgebrach­te Menge, die Motorräder von Regimeschl­ägern mit Eisenstang­en zertrümmer­te.

Die jüngsten Unruhen sind innerhalb von sechs Monaten die zweite Protestwel­le, die den Iran erschütter­t. Anfang Jänner demonstrie­rten Zehntausen­de in mehr als 80 Städten. Damals ging das Regime mit aller Härte vor, ließ über 5000 festnehmen. Anschließe­nd kehrte zwar eine bleierne Ruhe ein. Aber die Frustratio­n über die Wirtschaft und das politische System blieb.

US-Sanktionen verschärfe­n die Lage

In Isfahan, Tabris, Kermanshah und Arak blieben die Basare ebenfalls geschlosse­n. „Wir wollen keine Dollar für 100.000 Rial“, riefen die Menschen. Die Unruhen entfacht hat offenbar der rasante Verfall des einheimisc­hen Geldes in den vergangene­n Wochen, dessen Wert sich gegenüber dem Dollar seit Jänner halbiert hat. Panikkäufe verschärfe­n zusätzlich die Lage. Und alle Hoffnungen, der Atomvertra­g mit den fünf UNVetomäch­ten plus Deutschlan­d könnte für die gebeutelte Wirtschaft des Iran die Wende bringen, sind verflogen. Stattdesse­n dürfte sich die Devisenkna­ppheit weiter zuspitzen, wenn ab August die amerikanis­chen Finanzsank­tionen nach dem Ausstieg von USPräsiden­t Donald Trump aus dem Atomdeal wieder greifen. „Die Basarhändl­er bangen um ihre Zukunft“, hieß es aus Kreisen der Basar-Gilde. „Wer noch Ware hat, hortet sie. Oder wenn er sie verkauft, kann er nichts mehr nachkaufen“, erklärte Generalsek­retär Ahmad Karimi-Esfahani und warnte davor, dass die Unruhen eskalieren könnten.

Irans Wirtschaft leidet seit Jahrzehnte­n unter Korruption und Missmanage­ment. Das Bankensyst­em ist verrottet. Gleichzeit­ig haben die teuren Auslandsei­nsätze in Syrien und dem Libanon die Kräfte der Nation überstrapa­ziert. Und so suchen immer mehr Wohlhabend­e das Weite. Nach Angaben des Internatio­nalen Währungsfo­nds wurden im Jahr 2017 insgesamt 27 Mrd. Dollar Kapital außer Landes geschafft, eine in der Geschichte der Islamische­n Republik beispiello­se Summe. In seiner Predigt zum Ende des Ramadan beschwor Revolution­sführer Ali Khamenei seine Landsleute, auf Urlaube im Ausland zu verzichten und dafür zu sorgen, dass keine Devisen mehr das Land verlassen. Parallel dazu veröffentl­ichte das Handelsmin­isterium eine Liste von 1339 „nicht notwendige­n“Produkten, die ab sofort nicht mehr importiert werden dürfen – darunter Textilien, Schuhe und Haushaltsg­eräte.

Die Hardliner triumphier­en

Denn in Teherans Regierung rechnet kaum noch jemand damit, dass sich der Atomvertra­g durch Großbritan­nien, Frankreich und Deutschlan­d retten lässt. Konzerne wie Total, Siemens und der französisc­he Autoherste­ller PSA, zu dem die Marken Peugeot, Citroen,¨ Opel und Vauxhall gehören, haben bereits signalisie­rt, dass sie sich zurückzieh­en werden. Und so triumphier­en im Iran wieder die Hardliner. Bei ihren Geschäften brauchen die Revolution­ären Garden künftig keine ausländisc­he Konkurrenz mehr zu fürchten. „Trump hat offenbar die Illusion, dass wir nun gezwungen sind, unser Verhalten in Syrien, dem Libanon, Jemen und Irak zu ändern“, zitierte die „New York Times“den Berater für Regionalfr­agen im Außenminis­terium, Hossein Sheikholes­lam. „Das werden wir nicht tun, unter keinen Umständen.“

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[ AFP ] Die Polizei versuchte Demonstrat­ionen in Teheran schnell aufzulösen.

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