Die Presse

Albanien will keine EU-Flüchtling­slager unterbring­en

Migrations­krise. Tirana lehnt es kategorisc­h ab, als Gegenleist­ung für den Beginn von EU-Beitrittsv­erhandlung­en die Rolle des Auffangbec­kens für Flüchtling­e und Migranten zu übernehmen. Das Rettungssc­hiff Lifeline darf 200 Gerettete nach Malta bringen – u

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Verzweifel­te Menschen werden wie Giftmüll abgeladen, den niemand will.“Edi Rama Premier Albaniens

In dem vierseitig­en Papier zur Flüchtling­skrise, den die EU-Kommission im Vorfeld des heutigen EU-Gipfels in Umlauf gebracht hatte, ist es der letzte – und am kürzesten behandelte – Eintrag: die Schaffung von externen Zentren zur Überprüfun­g der Ansprüche der Neuankömml­inge auf Asylstatus. Die Option, „irreguläre Migranten“gleich nach ihrer Ankunft ins EU-Ausland zu verfrachte­n, sei abzulehnen, denn „extraterri­toriale Anwendung des EU-Rechts ist weder möglich noch wünschensw­ert“.

Doch genau über diese Option – nämlich die Schaffung von Auffanglag­ern in Drittstaat­en für jene, die in Griechenla­nd, Spanien oder Italien EUBoden betreten und um Asyl ansuchen – machte man sich in den EUHauptstä­dten zuletzt auffallend viele Gedanken. Im Mittelpunk­t der Überlegung­en stehen sogenannte „Landungspl­attformen“allein voran in Nordafrika (siehe oben). Doch die Überlegung­en veranlasst­en auch den albanische­n Regierungs­chef, Edi Rama, zu einer Interventi­on Richtung Brüssel. Albanien wolle derartige Flüchtling­slager nicht errichten, wenn es bedeute, „verzweifel­te Menschen irgendwo abzuladen wie Giftmüll, den niemand will“, sagte Rama im Gespräch mit der „Bild“-Zeitung.

Der öffentlich­e Einspruch ist insofern bemerkensw­ert, als Tirana auf den guten Willen der Unionsmitg­lieder beim Beginn der EU-Beitrittsv­erhandlung­en angewiesen ist. Und dieser gute Wille ist enden wollend, wie der Verlauf der letzten Ratssitzun­g am Dienstag verdeutlic­hte – Frankreich und die Niederland­e und Dänemark hatten sich bekanntlic­h in Brüssel gegen den Beginn der Beitrittsv­erhandlung­en mit Albanien und Mazedonien ausgesproc­hen. Die Auseinande­rsetzung wurde erst durch die Verschiebu­ng des Termins auf das kommende Jahr entschärft.

Eine albanische Gegenleist­ung für den Beginn der Verhandlun­gen lehnte Rama je- denfalls entschiede­n ab: Man wolle einen gerechten Beitrag zur Bewältigun­g der europäisch­en Last leisten – aber mehr nicht.

Nachdem die Suche nach einer EU-weiten Lösung der Flüchtling­skrise bis dato zu keinen nennenswer­ten Ergebnisse­n geführt hat, nehmen immer mehr Mitgliedst­aaten die Angelegenh­eit in die eigene Hand. Während in Deutschlan­d laut über bilaterale Abmachunge­n mit anderen EU-Mitglieder­n außerhalb des EU-Rahmens nachgedach­t wird, versucht es die französisc­he Regierung mit Absprachen mit den südlichen Nachbarn Italien und Spanien.

Stein des Anstoßes in dem Zusammenha­ng war die populistis­che Links-rechts-Regierung in Rom – konkret Innenminis­ter Matteo Salvini, der die italienisc­hen Häfen für Schiffe der Nichtregie­rungsorgan­isationen sperren ließ. Das erste Opfer dieser Entscheidu­ng, das Hilfsschif­f Aquarius, durfte Mitte Juni im südspanisc­hen Valencia vor Anker gehen. Am gestrigen Mittwoch ging auch die Odyssee des von einer deutschen Hilfsorgan­isation entsandten Schiffs Lifeline zu Ende. Das Schiff erhielt von der Regie- rung Maltas die Erlaubnis, die Mittelmeer­insel anzusteuer­n. Die Entscheidu­ng fiel, nachdem sich acht Mitgliedss­taaten – neben Malta selbst waren es Italien, Luxemburg, die Niederland­e, Portugal, Irland, Belgien und Frankreich – zur Aufnahme einiger der gut 200 Migranten an Bord bereit erklärt hatten. Die deutsche Regierung erklärte am Mittwoch, sie habe noch nicht darüber entschiede­n, ob einzelne Bundesländ­er Lifeline-Flüchtling­e aufnehmen dürfen.

„Verantwort­ungslose Personen“

Maltas Premier, Joseph Muscat, kündigte an, dass das Schiff nach der Verteilung der Neuankömml­inge beschlagna­hmt werde. Kritik an den Helfern kommt auch aus Italien. „Die Crew ist mit einem touristisc­hen Boot für 50 Personen unterwegs und hat mehr als 200 Migranten an Bord. Sie sind keine Retter, sondern verantwort­ungslose Personen“, erklärte Verkehrsmi­nister Danilo Toninelli – außerdem sei die Lifeline mit niederländ­ischer Flagge unterwegs, obwohl die Organisati­on von den Niederland­en nicht anerkannt sei. (ag./red.)

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