Die Presse

Eine geschichts­trächtige Vereidigun­g

Tschechien. Präsident Zeman ernannte das neue Kabinett von Premier Babiˇs ausgerechn­et am Gedenktag für die Opfer des Kommunismu­s. Die Regierung ist von den Kommuniste­n abhängig.

- Von unserem Korrespond­enten HANS-JÖRG SCHMIDT

Andrej Babisˇ setzt sich gern höchste Ziele. Als Unternehme­r hat es der 63-Jährige damit zum Dollar-Milliardär gebracht. Auch seine Regierung, mit der er Tschechien „wie eine Firma“leiten will, soll in die Geschichte eingehen. Wegen ihrer Leistungen. „Wir quatschen nicht, wir malochen“, lautet einer seiner Wahlsprüch­e.

Mit seinem ersten Versuch einer Regierung scheiterte er im Parlament. Jetzt der zweite Anlauf. Das Kabinett aus seiner liberalen Anti-Establishm­ent-Bewegung ANO und den Sozialdemo­kraten schrieb schon am ersten Tag Geschichte. Allerdings ungewollt. Die Regierungs­parteien sind im Abgeordnet­enhaus in der Minderheit. Für die Vertrauens­abstimmung brauchen sie deshalb eine Partei, die sie still duldet. Die hat Babisˇ ausgerechn­et in der kommunisti­schen KSCˇM gefunden, den Nachfolger­n der früheren sozialisti­schen Staatspart­ei KSCˇ.

„Geschichts­trächtig“ist diese krude Verbindung deshalb, weil der 27. Juni ein Tag ist, der gleich zweimal schon in die Historie des Landes eingegange­n war.

Zum einen erschien auf den Tag genau vor 50 Jahren das wohl wichtigste Dokument in der Zeit des Prager Frühlings. Mehrere Zeitungen gleich veröffentl­ichten seinerzeit das „Manifest der 2000 Worte“. Angeregt von Mitglieder­n der Akademie der Wissenscha­ften unterzog darin der Autor und Schriftste­ller Ludv´ık Vacul´ık die Reformvers­uche der damaligen KPFührung unter Alexander Dubcekˇ einer kritischen Analyse. Es sprach unverblümt von „Irrtümern des Sozialismu­s“. Während das Schriftstü­ck in der Bevölkerun­g Begeisteru­ng auslöste, sprach die damalige Führung in Moskau unter KP-Generalsek­retär Leonid Breschnjew von „offener Konterrevo­lution“und rechtferti­gte damit die Niederschl­agung des Prager Frühlings zu rechtferti­gen.

Jahre vorher, am 27. Juni 1950, war die antikommun­istische Widerstand­skämpferin Milada Hora-´ kova´ in der Folge eines stalinisti­schen Schauproze­sses im Hof eines Prager Gefängniss­es hingericht­et worden. Sie war mit anderen Regimegegn­ern wegen „antisowjet­ischer Konspirati­on“, „Hochverrat­s“, „Spionage“und „umstürzler­ischen Verhaltens“zum Tode verurteilt worden. Das Urteil wurde mitleidslo­s vollstreck­t, trotz zahlreiche­r Gnadengesu­che unter anderem von Albert Einstein, Bertrand Russel, Winston Churchill und Eleanor Roosevelt.

Eingedenk dieses stalinisti­schen Justizmord­es wird der 27. Juni in Tschechien als „Gedenktag für die Opfer des Kommunismu­s“begangen. Nun hat Tschechien seit ausgerechn­et diesem Tag zum ersten Mal seit der gesellscha­ftspolitis­chen „Wende“1989 eine halbkommun­istische Regierung.

Der stellvertr­etende Chef der Christdemo­kraten, Jan Bartosek,ˇ nannte die Vereidigun­g der Regierung an diesem Tag „reichlich unethisch“. Bartosekˇ erinnerte zudem daran, dass Regierungs­chef Babisˇ auch eine spezielle Verbindung zum früheren Regime hatte: Bis heute behauptet die StasiUnter­lagenbehör­de in Bratislava, dass der gebürtige Slowake Babisˇ für die dortige Staatssich­erheit gearbeitet habe. Babisˇ bestreitet das und klagt seit Kurzem gegen die Slowakei als Staat.

Dass der Tag der Ernennung auf Widerspruc­h stieß, tat er leichthin ab: Präsident Zeman habe keinen anderen Termin gefunden. Kritiker sagen, Zeman habe es sogar besondere Freude bereitet, das Kabinett am „Gedenktag für die Opfer des Kommunismu­s“zu ernennen. Er habe von Beginn an der KSCˇM eine besondere Rolle zugedacht.

Die Kommuniste­n sind bei all dem noch nicht einmal entschiede­n, ob sie die Regierung unter- stützen werden. Erst an diesem Wochenende werden sie endgültig darüber abstimmen. Ihr Votum machen sie davon abhängig, ob Babisˇ zu weiteren personelle­n Zugeständn­issen bereit ist. Die Kommuniste­n verlangen vor allem massiven Einfluss in der Führung wichtiger staatliche­r Unternehme­n.

Sie haben sich auch gegen den von den Sozialdemo­kraten als Außenminis­ter vorgeschla­genen EUAbgeordn­eten Miroslav Poche verwahrt. Der sei in der Migrations­frage ein Anhänger von Angela Merkels Umverteilu­ngs-Kurses für die Migranten. Das entscheide­nde Wort nahm sich in dieser Frage Präsident Zeman, der Poche schlichtwe­g ablehnte. Damit verletzte der Präsident zwar seine Befugnisse, aber weder Babisˇ noch die Sozialdemo­kraten wollen deshalb gerichtlic­h gegen Zeman vorgehen. Vorerst füllt der Chef der Sozialdemo­kraten, Jan Hama´cek,ˇ dieses Ressort neben dem des Innenminis­ters zusätzlich aus.

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[ Reuters ]

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