Die vielen Leiden des argentinischen Patienten
Argentinien. In St. Petersburg feierten über 60.000 Fans den Achtelfinaleinzug ihrer Mannschaft, doch dem Spiel des Vizeweltmeisters fehlt es weiter an Abstimmung und System. Gegen schwächelnde Franzosen aber darf gehofft werden.
St. Petersburg. Argentiniens Fans verliehen nach dem 2:1 gegen Nigeria ihrer unbändigen Freude in ganz unterschiedlichen Formen Ausdruck. Die einen feierten lautstark und 45 Minuten nach dem Schlusspfiff im Sankt-Petersburg- Stadion. Andere wiederum streckten die Arme gen Himmel, ohne ein Wort zu sagen. Viele videotelefonierten auf dem Weg zur Metrostation mit Freunden in der Heimat, sie mussten ihr Glück teilen.
Schlagartig verflogen waren all die Sorgen und der Ärger, die sich in den vergangenen Tagen aufgestaut hatten. Mit nur einem Sieg in drei Spielen zog Argentinien, der Vizeweltmeister, also doch noch ins Achtelfinale ein. Bei der Pressekonferenz nach dem Spiel blickte man in viele freudestrahlende Gesichter, bloß die beiden Protagonisten am Podium, Lionel Messi und Jorge Sampaoli, wirkten in sich gekehrt.
Der Superstar und der Teamchef der Albiceleste sind beileibe keine besten Freunde, das Arbeitsverhältnis soll sogar arg zerrüttet sein. Von einer Spielerrevolte war zu lesen, die Aufstellung soll in Wahrheit Messi machen, und Sampaoli verkündet sie bloß. Die ersten drei Fragen das Spiel betreffend richteten sich an beide Herren, Antworten gab aber nur einer: Messi. Danach verschwand der fünffache Weltfußballer, nun durfte auch Sampaoli sprechen. Ein Schauspiel, das dokumentierte, welchen Status der unantastbare Messi tatsächlich innehat.
Insofern verwunderte es ein wenig, dass sich Messi und Sampaoli unmittelbar nach dem Spiel in der Flut der Emotionen medienwirksam umarmten, fast schon öffentlich Freundschaft schlossen. Ein trügerisches Bild. Sampaoli sagte: „Als Leo mich umarmt hat, war ich sehr stolz und glücklich.“
Es ist nicht nur das ambivalente Verhältnis zwischen dem Teamchef und dem sensiblen Superstar, das Argentinien am großen Erfolg bei dieser Weltmeisterschaft zweifeln lässt, denn der argentinische Patient kennt einige Leiden. Das Team offenbarte in der Vorrunde teils eklatante Abwehrschwächen, es fehlt an der Abstimmung, weil Sampaoli seine Startelf regelmäßig wild durchmischt. Für JuventusPrimgeiger Paulo Dybala ist dort wohl auch wegen Freigeist Messi kein Platz. Auch in der Frage nach dem System herrscht Uneinigkeit. Das Achtelfinale gegen Frankreich wäre ursprünglich ein hochkarätiges Finale gewesen, nun ist es ein Duell der Sorgenkinder. Genau darin liegt aber Argentiniens Chance.
Am Samstag wird in Kasan auch Edelfan Diego Maradona wieder in der VIP-Loge thronen. Er gab nach seinem Zusammenbruch am Mittwoch Entwarnung.