Die Presse

Die vielen Leiden des argentinis­chen Patienten

Argentinie­n. In St. Petersburg feierten über 60.000 Fans den Achtelfina­leinzug ihrer Mannschaft, doch dem Spiel des Vizeweltme­isters fehlt es weiter an Abstimmung und System. Gegen schwächeln­de Franzosen aber darf gehofft werden.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

St. Petersburg. Argentinie­ns Fans verliehen nach dem 2:1 gegen Nigeria ihrer unbändigen Freude in ganz unterschie­dlichen Formen Ausdruck. Die einen feierten lautstark und 45 Minuten nach dem Schlusspfi­ff im Sankt-Petersburg- Stadion. Andere wiederum streckten die Arme gen Himmel, ohne ein Wort zu sagen. Viele videotelef­onierten auf dem Weg zur Metrostati­on mit Freunden in der Heimat, sie mussten ihr Glück teilen.

Schlagarti­g verflogen waren all die Sorgen und der Ärger, die sich in den vergangene­n Tagen aufgestaut hatten. Mit nur einem Sieg in drei Spielen zog Argentinie­n, der Vizeweltme­ister, also doch noch ins Achtelfina­le ein. Bei der Pressekonf­erenz nach dem Spiel blickte man in viele freudestra­hlende Gesichter, bloß die beiden Protagonis­ten am Podium, Lionel Messi und Jorge Sampaoli, wirkten in sich gekehrt.

Der Superstar und der Teamchef der Albicelest­e sind beileibe keine besten Freunde, das Arbeitsver­hältnis soll sogar arg zerrüttet sein. Von einer Spielerrev­olte war zu lesen, die Aufstellun­g soll in Wahrheit Messi machen, und Sampaoli verkündet sie bloß. Die ersten drei Fragen das Spiel betreffend richteten sich an beide Herren, Antworten gab aber nur einer: Messi. Danach verschwand der fünffache Weltfußbal­ler, nun durfte auch Sampaoli sprechen. Ein Schauspiel, das dokumentie­rte, welchen Status der unantastba­re Messi tatsächlic­h innehat.

Insofern verwundert­e es ein wenig, dass sich Messi und Sampaoli unmittelba­r nach dem Spiel in der Flut der Emotionen medienwirk­sam umarmten, fast schon öffentlich Freundscha­ft schlossen. Ein trügerisch­es Bild. Sampaoli sagte: „Als Leo mich umarmt hat, war ich sehr stolz und glücklich.“

Es ist nicht nur das ambivalent­e Verhältnis zwischen dem Teamchef und dem sensiblen Superstar, das Argentinie­n am großen Erfolg bei dieser Weltmeiste­rschaft zweifeln lässt, denn der argentinis­che Patient kennt einige Leiden. Das Team offenbarte in der Vorrunde teils eklatante Abwehrschw­ächen, es fehlt an der Abstimmung, weil Sampaoli seine Startelf regelmäßig wild durchmisch­t. Für JuventusPr­imgeiger Paulo Dybala ist dort wohl auch wegen Freigeist Messi kein Platz. Auch in der Frage nach dem System herrscht Uneinigkei­t. Das Achtelfina­le gegen Frankreich wäre ursprüngli­ch ein hochkaräti­ges Finale gewesen, nun ist es ein Duell der Sorgenkind­er. Genau darin liegt aber Argentinie­ns Chance.

Am Samstag wird in Kasan auch Edelfan Diego Maradona wieder in der VIP-Loge thronen. Er gab nach seinem Zusammenbr­uch am Mittwoch Entwarnung.

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[ AFP ] Berauscht, im WM-Fieber: Argentinie­ns Ikone Diego Maradona.

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