Die Presse

Eine längst verloren geglaubte Spezies

Groß gewachsene, kräftige Mittelstür­mer galten als Auslaufmod­ell. In einer Neuinterpr­etation erlebt dieser Typus gerade eine Renaissanc­e, Angreifer wie Romelu Lukaku könnten bei der WM gar der Schlüssel zum Erfolg sein.

- VON JOSEF EBNER

Kaliningra­d/Wien. Wer auf ein Preisschie­ßen zwischen Romelu Lukaku und Harry Kane gehofft hat, wird heute wohl enttäuscht werden. Gut möglich, dass gleich zwei der drei bisher besten Torschütze­n dieser WM fehlen werden, wenn sich Belgien und England im letzten Gruppenspi­el gegenübers­tehen. Obwohl eine Schande gegenüber den Fans, ist es Alltag bei Endrunden, die Topstars zu schonen, wenn der Aufstieg wie auch in diesem Fall von beiden Teams längst fixiert worden ist.

Das ändert aber nichts daran, dass sowohl der 25-jährige Lukaku als auch der 24-jährige Kane ge- rade dabei sind, einen alten Stürmertyp­us nicht nur wiederzube­leben, sondern auch höchst erfolgreic­h weiterzuen­twickeln. Denn der groß gewachsene, kräftige Mittelstür­mer, gern auch Stoßstürme­r genannt, galt längst als überholt. Und in der Kategorie des technisch limitierte­n Kopfballun­geheuers, das dank seines Torriecher­s zwar abstauben konnte, aber sonst kaum am Spiel teilnahm – im besten Fall noch, um abtropfen zu lassen oder sich Verteidige­rn in den Weg zu stellen –, war er tatsächlic­h ein Auslaufmod­ell.

Ein robuster Angreifer allerdings, der seinen bulligen Körper im Sturmzentr­um einzusetze­n weiß und zugleich flink und wendig genug ist, um in die Räume vorzustoße­n, dort auch einmal einen Gegenspiel­er stehen lassen oder selbst den letzten Pass spielen kann, ist gefragter denn je. Verfügt ein solcher Stürmer auch noch über einen schnellen Antritt und die nötige Balltechni­k, könnte er bei dieser WM ein Schlüssel zum Titel sein. Schließlic­h verkörpert auch der „neue“Cristiano Ronaldo, der von Zinedine´ Zidane bei Real Madrid ins Sturmzentr­um beordert wurde, genau diesen Typus.

In Russland hat Romelu Lukaku diese Rolle bisher am eindrucksv­ollsten ausgefüllt. Die stattliche Erscheinun­g des Belgiers (1,91 Meter, rund 95 Kilogramm) gepaart mit seiner Geschwindi­gkeit ergibt eine Kombinatio­n, die im Strafraum kaum aufzuhalte­n ist. Wie bei dieser WM schon zu sehen war, beherrscht der Manchester-United-Star auch die Ballkunst, um Tormänner mit einem Lupfer zu düpieren. Lukaku, ein Paradeexem­plar des modernen Stoßstürme­rs also, kräftig, schnell und technisch versiert, außerdem mit Torinstink­t gesegnet: In den bisher 20 Partien unter Teamchef Roberto Mart´ınez traf er 23-mal für Belgien.

Sein Marktwert trägt diesen Zahlen Rechnung. Lukaku, in ärmlichen Verhältnis­sen in Antwerpen aufgewachs­en, ist mittlerwei­le 90 Millionen Euro wert. Im Sommer des Vorjahres hat Jose´ Mourinho rund 85 Millionen für den Angreifer nach Everton überwiesen. Den Mann, den er einst bei Chelsea verschmäht hatte, hat er in Manchester zum Nachfolger von Zlatan Ibrahimovi­c´ erkoren.

Harry Kane (1,88 Meter, knapp 90 Kilogramm) hat sich genauso treffsiche­r erwiesen. In den jüngsten vier Saisonen hat er jeweils über 20 Tore für Tottenham erzielt. Als er Angang Juni einen neuen Sechsjahre­svertrag bei seinem Stammklub unterschri­eben hat, haben die Londoner, die sich sonst rühmen, bei den Rekordgage­n der Premier League nicht mitzuspiel­en, ihr Credo über Bord geworfen und Kanes Wochengeha­lt von 100.000 Pfund (113.500 Euro) verdoppelt. Sein Marktwert kletterte auf 150 Millionen Euro.

Mit seinen drei Toren gegen Panama ist Kane nun der dritte Engländer nach Geoff Hurst und Gary Lineker, dem bei einer WM ein Hattrick gelang. „Das sollte ihn unglaublic­h stolz machen, aber er weiß, dass das Team das Wichtigste ist und wir Entscheidu­ngen treffen müssen, die für die Mannschaft richtig sind“, erklärte Teamchef Gareth Southgate. Das klingt, als würde der Kapitän heute pausieren. Dabei wäre es umso spannender zu sehen, wie sich Kane gegen Toby Alderweire­ld und Jan Vertonghen (gelb vorbelaste­t), seine Tottenham-Kollegen in der belgischen Abwehr, schlägt.

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[ AFP ] Robust, schnell, technisch versiert und kopfballst­ark: Belgiens Romelu Lukaku (l.) verkörpert den modernen Mittelstür­mer.

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