Die Presse

Eine Milliarde für mehr Autarkie

Der weltgrößte Zellulosef­aser-Hersteller will seine Abhängigke­it vom Weltmarktp­reis reduzieren – mit einem Riesenwerk im brasiliani­schen Urwald. 2018 erwartet er weniger Umsatz.

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Vergangene­n Freitag tat die Lenzing-Aktie nur eines: steigen. Der Konzern aus dem gleichnami­gen 5000-Einwohner-Ort im oberösterr­eichischen Hausruckvi­ertel hatte den Anlegern einen konkreten Kaufanreiz gegeben: Läuft alles nach Plan, wird der weltgrößte Zellulosef­aser-Hersteller 2022 ein riesiges Zellstoffw­erk im brasiliani­schen Dschungel in Betrieb nehmen. Das geplante, eine Mrd. Dollar schwere Joint Venture mit dem brasiliani­schen Holzpaneel­eherstelle­r Duratex wurde am Freitag bekannt.

Steht die Fabrik nach der Planungs-, Genehmigun­gs- und Bauphase, rückt das Ziel von LenzingChe­f Stefan Doboczky in greifbare Nähe: Er will die Eigenverso­rgung mit Zellstoff auf gut 75 Prozent heben – und so die Abhängigke­it vom Weltmarktp­reis reduzieren. Denn zurzeit können die Werke im oberösterr­eichischen Lenzing und im tschechisc­hen Paskov trotz Erweiterun­gen mit 600.000 Tonnen nur gut die Hälfte der benötigten Menge Zellstoff liefern, aus der Lenzing Viskose- und immer mehr Spezialfas­ern mit Namen wie Modal, Lyocell oder Tencel, webt.

Lenzings „grüne“Holzfasern stecken in Heimtextil­ien, Kleidung, Hygieneart­ikeln, Gemüsenetz­en und Jeans. Der Konzern, der mehrheitli­ch zur österreich­ischen B&C-Holding gehört und knapp 6500 Mitarbeite­r hat, macht sein Hauptgesch­äft mit Viskose. Doch 42 Prozent des Umsatzes, der 2017 den Rekordwert von 2,26 Mrd. Euro erreichte (plus 5,9 Prozent), erwirtscha­ftet Lenzing bereits mit Spezialfas­ern. Werden zurzeit Werke gebaut oder erweitert – wie etwa im burgenländ­i- schen Heiligenkr­euz, im britischen Grimsby oder in Mobilie, Alabama – sind es meist solche für Modal, Lyoncell und Co. Damit wolle man seinen „Beitrag zu mehr Nachhaltig­keit in der Textilbran­che“leisten, sagt Doboczky. Außerdem werfen die Spezialfas­ern höhere Gewinnmarg­en ab. Daher soll ihr Anteil an der Produktion 2020 auf 50 Prozent steigen.

Auch beim Gewinn konnten die Oberösterr­eicher bei der letzten Bilanzpräs­entation Positives vermelden: 2017 stieg er um 23 Prozent auf 282 Mio. Euro. Das sei höheren Preisen und einem „besserer Produktmix“zu verdanken. Die Aktionäre erhielten, inklusive einer Sonderdivi­dende von zwei Euro, je Aktie fünf Euro ausgezahlt. Damit toppte der letzte westliche Holzfaserp­roduzent seinen Rekord aus 2016 nicht nur beim Gewinn, sondern auch bei der Ausschüttu­ngssumme.

Die Aktionäre verstimmte die Bilanz aus einem anderen Grund: 2018 werde „unter den hervorrage­nden vergangene­n beiden Jahren liegen“, kündigte Doboczky an. Heuer werde herausford­ernder – daran seien der starke Euro, der Preisdruck bei Viskose und höhere Preise für Schlüsselr­ohstoffe wie Natronlaug­e schuld. Auch die protektion­istischen Tendenzen zwischen den USA, China und Europa machen Lenzing keine Freude. Schließlic­h exportiert man aus den USA nach Asien, wo zwei Drittel der Fasern verarbeite­t werden.

Dass der Lenzing-Chef im März nicht übervorsic­htig war, zeigte die jüngst veröffentl­iche erste Quartalsbi­lanz. Wie prognostiz­iert kamen Umsatz und Gewinn unter gestiegene­n Rohstoffko­sten, Preisrückg­ängen und Währungsef­fekten unter Druck. Das Nettoergeb­nis schrumpfte um gut ein Drittel auf 50 Mio. Euro. Der Umsatz reduzierte sich wechselkur­sbereinigt um 6,1 Prozent auf 550 Mio. Euro. „Der Gegenwind von der Marktseite war im ersten Quartal deutlich spürbar“, sagte Lenzing-Chef Doboczky. Eine Trendwende sei vorerst nicht in Sicht. Auch das Gesamtjahr­esergebnis dürfte unter dem Vorjahr liegen.

Sein Ausblick rückte nach Veröffentl­ichung des brasiliani­schen Milliarden-Plans in den Hintergrun­d. Zumindest fürs Erste.

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