Die Presse

Mit Roman Polanski in die Isolation

Neu im Kino. Im Psychothri­ller „Nach einer wahren Geschichte“mit Emmanuelle Seigner ergreift ein weiblicher Fan die Kontrolle über das Leben einer Bestseller­autorin. Dass Roman Polanski hier auch von sich selbst erzählt, liegt nahe.

- VON ANDREY ARNOLD

Die Hölle, das waren für Roman Polanski schon immer die anderen. Besonders in der sogenannte­n Apartment-Trilogie des polnisch-französisc­hen Regisseurs werden Nachbarn und Bekannte zur Projektion­sfläche für Ängste und Wahnvorste­llungen. „Repulsion“(1965) folgt dem geistigen Verfall einer menschensc­heuen Kosmetiker­in, die von wuchernden Visionen zudringlic­her Unbekannte­r zum Mord getrieben wird. In „Rosemary’s Baby“(1968) erweisen sich die netten Leute von nebenan als infame Satanisten, die einem jungen Ehepaar den Antichrist­en unterjubel­n wollen. Und in „The Tenant“(1976) spielt Polanski selbst den titelgeben­den Mieter, dessen Pariser Wohnung sukzessive zum Brennpunkt unterschwe­lligen Psychoterr­ors durch die Hausgenoss­enschaft gerät.

Dieser Argwohn kommt nicht von ungefähr. Polanski entfloh einst dem Krakauer Ghetto, seine Mutter starb in Auschwitz. 1969 ermordete die Manson-Bande seine Frau Sharon Tate, die im achten Monat schwanger war. Die Sensations­geilheit der Presse nach dem Verbrechen raubte ihm schon damals sein Vertrauen in die Medien. Doch auch Polanski selbst hat große Schuld auf sich geladen: 1977 wurde er wegen Vergewalti­gung der 13-jährigen Samantha Gailey, heute Geimer, festgenomm­en. Als sich eine Verurteilu­ng abzeichnet­e, floh der Filmemache­r nach Frankreich, wo er bis heute lebt und arbeitet. Länder, die ihn an die USA ausliefern könnten, meidet der mittlerwei­le 84-Jährige – erst 2009 setzte man ihn in der Schweiz unter temporären Hausarrest. Dass sich der Sturm um seine Person in absehbarer Zeit legen wird, ist unwahrsche­inlich.

Ein Kammerspie­l über Identitäts­verlust

Insofern liegt es nahe, Polanskis jüngste Arbeit „Nach einer wahren Geschichte“, die vergangene­s Jahr in Cannes Premiere feierte und am Freitag in Österreich anläuft, auf seine Biografie zu beziehen: Sie handelt von einer berühmten Schriftste­llerin, die sich, ermattet von lästigen Fans, geharnisch­ten Schmähbrie­fen und dem (Erfolgs-)Druck der Öffentlich­keit, immer mehr zurückzieh­t. Doch nur weil etwas naheliegt, muss man nicht gleich danach greifen. Stattdesse­n lässt sich der Film, der auf einem Roman von Delphine de Vigan basiert, auch als heimli- cher vierter Teil der Apartment-Reihe betrachten: Ein klaustroph­obisches Kammerspie­l über urbanen Identitäts­verlust.

Dieser schleicht sich in Form einer weltgewand­ten Verehrerin (Eva Green mit stechendem Blick) ins Leben der Protagonis­tin Delphine (gespielt von Polanskis Gattin, Emmanuelle Seigner). Nachdem Delphine ihr aus Müdigkeit das Autogramm verweigert hat, trifft sie sie auf einer Party wieder. Die geheimnisv­olle Fremde bittet um ein schlichtes „Elle“als Widmung ins Buch – und bietet ihrem sichtlich erschöpfte­n Idol Freundscha­ft und Unterstütz­ung an. Entwaffnet von ihrer zwanglos-resoluten Art sagt Delphine zu – und Elle beginnt, sich der Existenz ihrer Schutzbefo­hlenen zu bemächtige­n. Kontakte zur Außenwelt werden unter dem Vorwand der Schreibtät­igkeit gekappt, irgendwann begibt sich die freiwillig­e Assistenti­n sogar unter Delphines Namen zu einem Vortrag – um dieser mehr Zeit zum Arbeiten zu lassen, versteht sich. Doch mit dem Verdacht, Elle könnte Böses im Schilde führen, steigt auch Delphines Faszinatio­n für den Eindringli­ng.

Obwohl „Nach einer wahren Geschichte“hier auf klassische­s Psychothri­ller-Territoriu­m zusteuert (Stephen Kings „Misery“lässt grüßen), wird man ihm weit mehr abgewinnen, wenn man ihn als Künstlerse­elendrama sieht. Die Wendepunkt­e überrasche­n kaum, und immer deutlicher wird, dass Elle dramaturgi­sch als Ausdruck von Delphines innerer Schreibblo­ckaden-Beklemmung fungiert.

Polanskis letzter Film?

Wiederholt fordert sie ein „verborgene­s Buch“von der Autorin, das endlich ihr Innerstes nach außen kehren soll. Oder geht es zuletzt darum, wie Fremdbilde­r das Selbstbild eines Menschen überformen können? Dann wären wir doch wieder bei Polanski.

„Nach einer wahren Geschichte“ist nicht nur dessen neuester Film, es könnte auch sein letzter sein. Die MeToo-Debatte rückt den Regisseur, der selbige in einem Interview als Massenhyst­erie bezeichnet hat, stufenweis­e in Richtung Persona non grata. Eine Polanski-Retrospekt­ive der Cinema-´ th`eque francaise¸ führte 2017 zu Protesten. Im Mai dieses Jahres wurde er zusammen mit Bill Cosby wegen „Verstoßes gegen die Verhaltens­richtlinie­n“aus der Oscar-Akademie ausgeschlo­ssen – 2002 hatte ihm diese noch eine Goldstatue­tte für sein HolocaustE­pos „Der Pianist“verliehen.

Rückendeck­ung erhielt der Filmemache­r von seinem einstigen Opfer. Samantha Geimer hat ihn zwar nicht freigespro­chen („Es war eindeutig eine Vergewalti­gung“, schreibt sie in ihrer autobiogra­fischen Schilderun­g des Falls), ihm aber verziehen. Sie will, dass der Medienrumm­el um ihre Geschichte ein Ende nimmt. Den AcademyAus­schluss nannte die heute 55-Jährige in ihrem Blog „hässlich und grausam“. Andere meinen, er wäre längst fällig gewesen: Der Zankapfel rollt weiter.

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[ Constantin ] Immer mehr bemächtigt sich Elle (Eva Green, re.) des Lebens der ausgelaugt­en Schriftste­llerin Delphine (Polanskis Ehefrau Emmanuelle Seigner).

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