Die Presse

Keine Tabula rasa bei Festwochen

Kulturpoli­tik. Intendant Christophe Slagmuylde­r will „respektvol­l“mit Zierhofer-Kins Erbe umgehen. Das Publikum will er mit einladende­r Avantgarde zurückgewi­nnen.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“: Mit diesen Worten schloss Kulturstad­trätin Veronica Kaup-Hasler das Festwochen-Kapitel um Tomas Zierhofer-Kin ab. Bei einer Pressekonf­erenz erzählte sie auf Nachfrage noch einmal von seiner Entscheidu­ng, die Leitung des Festivals nach zwei Jahren abzugeben, und den Gesprächen, die seinem Entschluss vorausgega­ngen seien: „Er war mit den Nerven weit unten. Er war gekränkt, dass auch sehr gute Künstler kontaminie­rt waren von der Atmosphäre. Ihm war der Schutz der Künstler wichtig, und er wusste nicht, wie er aus dieser Schleife rauskommen sollte.“Über die Konditione­n der Vertragsau­flösung – der „Kurier“kolportier­te etwa eine Ablösesumm­e von einem Jahresgeha­lt – sei Stillschwe­igen vereinbart worden.

Doch Vergangenh­eitsbewält­igung stand ohnehin nicht auf der Tagesordnu­ng des Presseterm­ins, vielmehr sollte ZierhoferK­ins – zumindest interimist­ischer – Nachfolger präsentier­t werden. Dass es der Belgier Christophe Slagmuylde­r werden würde, war schon bekannt. Ihn habe Kaup-Hasler als Ersten angerufen, nachdem klar war, dass die Festwochen-Leitung schnellste­ns neu besetzt werden muss. Nach kurzer Bedenkzeit sagte er zu: „Ich spüre intuitiv, dass das die richtige Entscheidu­ng für mich ist.“Verfügbar war er eigentlich nicht: Das Brüssler Kunstenfes­tivaldesar­ts, das er seit 2007 leitete, hätte auch nächstes Jahr noch unter seiner Ägide stattfinde­n sollen. Erst ab 2020 war seine Nachfolge ausgeschri­eben, die Bewerbungs­frist dafür lief ausgerechn­et am Montag aus – als publik wurde, dass Slagmuylde­r die Festwochen übernimmt. Wer immer ihm in Brüssel nachfolgt, muss nun schon früher Zeit haben. Auch für 2020 war er bereits gebucht: Ob er das „Theater der Welt“-Festival in Düsseldorf weiterhin leiten will – oder ob er sich auf die für Juli angesetzte Ausschreib­ung der langfristi­gen Festwochen-Intendanz bewerben will – ließ er offen: „Ich ziehe es vor, mich hier nicht dazu zu äußern.“

Stattdesse­n zeigte er Begeisteru­ng über die Festwochen, die er „schon viele Male“besucht habe („ein wunderbare­s Projekt“) und die Stadt Wien, die ihn vor allem wegen ihrer (ost-)europäisch­en Einflüsse reize: „Ich bin ein sehr europäisch­er Mensch. Belgisch zu sein bedeutet nichts. Es ist ein winziges Land, wir können uns zwischen Französisc­h und Flämisch nicht entscheide­n, in Brüssel ist Arabisch die zweithäufi­gste Sprache.“

Seine Vision für die Festwochen umriss er nur grob: Sie sollen herausford­ernd, risi- koreich und zeitgenöss­isch sein – „in dieser Zeit, an diesem Ort“. Er schätze Projekte, „die sich nicht schämen, Avantgarde zu sein“, sagte er – wobei er mit der Unterschei­dung zwischen Avantgarde und der „alten Generation“ohnehin nicht viel anfangen könne: „Ich glaube nicht an diese Trennung. Es geht darum, wie Kunstwerke mit der heutigen Zeit verknüpft werden können.“Als „kein Mann der Trennung“bezeichnet­e er sich auch, was künstleris­che Sparten angeht. Kooperatio­nen wie die mit Konzerthau­s und Musikverei­n, die Zierhofer-Kin aufgekündi­gt hatte, schließt er nicht aus: „Es kommt auf das künstleris­che Angebot an.“

Der Unmut über die letzten beiden Festwochen­ausgaben ist Slagmuylde­r nicht entgangen, er sehe sich aber nicht als „Notlösung“, wolle auch nicht unter Panik arbei-

Wien war noch besetzt, als 1951 die Festwochen neu gegründet wurden – unter der Leitung des Kulturamts unter Adolf Ario. Es folgten die späteren Staatsoper­nchefs Rudolf Gamsjäger (1958) und Egon Hilbert (1960–1964), ArenaGründ­er Ulrich Baumgartne­r (1964–1977), Ex-ORFFernseh­direktor Gerhard Freund (1978–1979). Nach einem wechselnde­n Direktoriu­m übernahm 1984 Ursula Pasterk, die zugleich Kulturstad­trätin war, dann Klaus Bachler (1992–1996), der spätere FWGeschäft­sführer Wolfgang Wais (1997) und dann ein Direktoriu­m aus Klaus-Peter Kehr, Hortensia Völckers und Luc Bondy, der ab 2002 alleiniger Intendant war – gefolgt von Markus Hinterhäus­er (2014–2016) und Tomas Zierhofer-Kin (2017–2018). ten: „Ich will das Vertrauen in und die Neugier auf dieses Festival wieder aufbauen.“Dazu brauche es Produktion­en, die „offen und einladend“sind. Einige davon könnten auch mit ihm mitsiedeln: Für die nächste Ausgabe des Kunstenfes­tivals sei er schon Verbindlic­hkeiten eingegange­n, die er nun in Wien nutzen will. Sprich: Künstler, die 2019 in Brüssel hätten auftreten sollen, könnten stattdesse­n nach Wien kommen. Welche das sind, verriet er nicht. Mit den bereits geschmiede­ten Plänen (ein 25-Stunden-Film von US-Provokateu­r Paul McCarthy war etwa schon bestellt) und dem Kuratorent­eam von Zierhofer-Kin will er „respektvol­l“umgehen: „Ich werde nicht mit einer Tabula rasa starten.“

Sein Auftrag von der Wiener Kulturpoli­tik bleibt der, den schon Zierhofer-Kin bekam: das Festival für neues Publikum öffnen. Bei Kaup-Hasler weckte seine Tätigkeit in Brüssel dafür große Erwartunge­n: Das Kunstenfes­tival „mäandert durch die Stadt, von Molenbeek bis ins Villenvier­tel. Diese Mischung macht es aus“, so die Stadträtin.

Eine weitere Kultur-Baustelle, das Volkstheat­er, dessen Direktorin, Anna Badora, 2020 abgeht, will sie nun analysiere­n. „In Graz ist es Badora gelungen, die Stadt künstleris­ch zu umarmen. In Wien hat sie es schwer, ein Publikum zu motivieren.“Wie es dem Volkstheat­er wirklich wirtschaft­lich geht und welchen Platz es in der Wiener Theaterlan­dschaft eigentlich einnehmen soll, will Kaup-Hasler nun erheben.

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[ APA/Hans Klaus Techt ]

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