Die Presse

Der Pop und das Leben als großes Theater

Museumsqua­rtier. Schädel und Beine, Farben und Beats, alles unter Kontrolle: David Byrne zeigte, dass ein völlig durchchore­ografierte­s Popkonzert nicht nur unpeinlich, sondern auch höchst fesselnd sein kann.

- VON THOMAS KRAMAR

I’m working on my dancing“, singt David Byrne, zugleich melancholi­sch und heftig skandieren­d, „that’s the best I can do“. Was für ein Understate­ment! Was Byrne, einst Kopf der großen Talking Heads, Altmeister des bewegten Grübelns und der vergrübelt­en Bewegung, mit seiner aktuellen Show gelungen ist, ist nicht weniger als eine geniale, so bisher noch nicht erlebte Verschmelz­ung von Tanz und Musik.

Byrne beginnt a` la dänischer Prinz mit einem Schädel in der Hand: „Here’s an area of great confusion“, singt er, „here is a section that’s extremely precise.“Dann kommen, in extremer Präzision, die anderen Tänzer und Musiker durch den Schnurvorh­ang, das Licht macht ihre Anzüge beige – und den Byrnes grau –, später wird es sie silbrig und golden machen, dem Rhythmus gehorchend, der alles regiert.

Sie halten und schlagen ihre Instrument­e wie die Musiker in MTV-Popvideos der Achtzigerj­ahre mit großer Gestik, es wirkt, als ob sie nur simulierte­n, auch dadurch, dass man kein Kabel, keine Lautsprech­erbox sieht in dem Kubus, der hier, im Wiener Museumsqua­rtier, die Welt ist. Byrne wird später stolz erklären, dass der Eindruck täuscht, dass alles echt gespielt wird, aber genau dieses Gefühl der Täuschung, der Unsicherhe­it zählt – wie in „Once In A Lifetime“, wo er den Boden unter den Füßen verliert, sein schönes Haus, seine schöne Frau nicht mehr erkennt, sich am Mantra festklamme­rt: „Same as it ever was!“Auch diesen Talking-Heads-Klassiker bringt er höchst theatralis­ch.

Theatralis­ch? Ist das nicht ein schmutzige­s Wort? Haben sich nicht gerade die Talking Heads einst, im New-Wave-Jahr 1977, mit Alltagskle­idung gegen das pompöse Rocktheate­r der Siebzigerj­ahre gewandt? Ja. Aber Byrne hat die Theatralik später neu entdeckt, mit seinem „Big Suit“, seinem manischen Gestikulie­ren im Film „Stop Making Sense“etwa: Das war Wille zur Pose, das (leicht paranoide) Wissen, dass wir immer spielen, immer beobachtet werden, immer beobachten. Alles Theater, lebende Körper in Bewegung. Keine Videos.

Und doch: „I wish I was a camera“, mit dieser Zeile beginnt „Everybody’s Coming to My House“aus Byrnes aktuellem Album, „American Utopia“: Auch bei seiner Show bleibt nichts unbeobacht­et, alles ist unter Kontrolle. Bis in die Zehntelsek­undenbruch- teile, in denen sich die Rhythmen in „Born Under Punches“oder „The Great Curve“verschränk­en, aneinander reiben: Allein dass diese irrwitzige­n Stücke aus dem Album „Remain In Light“perfekt aufgeführt wurden, war eine Freude. Auch der straffe Dada-Funk von „I Zimbra“. Das fast schon süffige „Blind“, bei dem die Schatten tanzen. Die erschrecke­nde Todesvisio­n von „Bullet“, bei der Byrne sich an einem Licht festhält, das ihm am Ende davonläuft. Oder „This Must Be the Place (Naive Melody)“, das ein zentrales Thema Byrnes in einen Kindersing­sang packt: die Heimat, die heimelig und unheimlich zugleich ist. „You love me till my heart stops“, singt Byrne, und dann kommt eine kurze Pause, als ob wirklich die Herzen stehen geblieben wären . . .

Auch seine Wahlheimat, die USA, deren Staatsbürg­erschaft der gebürtiger Schotte erst vor zwei Jahren, mit 64, angenommen hat, ist ihm mitunter unheimlich: Ganz besorgter Bürger, empfahl er etwaigen Amerikaner­n im Publikum, sich nach dem Konzert für die Wahlen registrier­en zu lassen. Konkret wurde es auch in der letzten Zugabe: „Hell You Talmbout“von Janelle Monae,´ in dem afroamerik­anische Opfer von Gewalt, vor allem Polizeigew­alt, in einer Art Chant beschworen werden, wie um böse Geister des Rassismus auszutreib­en. Ein packendes Ende einer großen Performanc­e.

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