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Medien. Die an sich notwendige Debatte über neue Leitlinien zur Social-Media-Nutzung von Redakteuren ist dem ORF entglitten. Sogar Kanzler Kurz sieht den neuen Erlass skeptisch.
Die BBC hat welche, die „New York Times“ebenso – und der ORF auch: „Guidelines“zur Nutzung von sozialen Netzwerken. Bereits seit März 2012 gelten im ORF die von der Redakteursvertretung verfassten „Social Media Guidelines“: zehn Regeln, unter dem Slogan „Tu nichts Dummes“zusammengefasst, die aber nur als „Empfehlungen“für Redakteure gelten. Vor allem Vertreter der ÖVP und der FPÖ im Stiftungsrat des ORF wünschen sich daher schon seit Längerem strengere Regeln und zudem Sanktionen bei Nichteinhaltung.
Norbert Steger (FPÖ), seit Mai neuer Vorsitzender des Stiftungsrates, hatte erst im April in einem Interview erklärt, wer im ORF gegen die geplante neue Social-MediaRichtlinie verstoße, „wird zunächst verwarnt – und dann entlassen“. Eine Aussage, die er später allerdings zurückzog.
Trotzdem ist um genau diese angekündigten neuen Richtlinien ein Streit ausgebrochen: Zuerst erreichte einen Teil der Radiomitarbeiter per E-Mail eine Dienstanweisung von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz mit neuen Social-Media–Leitlinien, „die von allen journalistischen und programmgestaltenden Mitarbeiter/innen des ORF zu befolgen“und deren Einhaltung von den jeweiligen Vorgesetzten zu kontrollieren seien. Die neue Regelung sieht vor, dass Redakteure und programmgestaltende Mitarbeiter des ORF „auch im privaten Umfeld“(wie auch immer man das kontrollieren will) auf öffentliche Kommentare in sozialen Medien verzichten sollen. Es geht um Aussagen, die man als Zustimmung interpretieren kann, als Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, als Sympathie, Kritik und „Polemik“gegenüber politischen Institutionen und ihren Vertretern. Ein Redakteur hatte Auszüge dieser E-Mail auf Twitter veröffent- licht und damit eine heftige Debatte über diese Leitlinien ausgelöst. Von einem „Maulkorb“für ORF-Journalisten und einem Kniefall vor der Politik war die Rede, deutsche Blätter wie „Die Zeit“berichteten, Reporter ohne Grenzen warnte vor einem „Anschlag auf Meinungs- und Pressefreiheit“. Und TVSatiriker Jan Böhmermann erinnerte den ORF-Chef auf Twitter an einige von dessen eigenen parteiischen Tweets.
Der ORF kalmierte sofort, es handle sich nur um einen Entwurf, der noch mit Redakteurs- und Zentralbetriebsrat besprochen werde. Von „Maulkorb“könne keine Rede sein. Heute, Donnerstag, soll dieser im Stiftungsrat diskutiert werden. Trotzdem verschickten manche Vorgesetzte wie der neue ORF-2-Chefredakteur, Matthias Schrom, die Leitlinien noch in der Nacht an ihre Mitarbeiter mit dem Zusatz, diese „entsprechend“zu beachten. Als würden sie bereits gelten.
Von Inhalt sowie Art und Weise der (versuchten) Umsetzung einmal abgesehen, ist die Einführung von Unternehmensrichtlinien für die Nutzung von sozialen Netzwerken etwas Selbstverständliches. Neue Kommunikationsmittel erfordern neue Verhaltensregeln. Der ORF hat eben schon welche und verweist nicht umsonst auf die Richtlinien internationaler Qualitätsmedien; Generaldirektor Wrabetz twitterte einen Satz aus den „Guidelines“der „New York Times“: „In social media posts, our journalists must not express partisan opinions, promote political views, endorse candidates, make offensive comments or do anything else that undercuts ,The Times‘ journalistic reputation.“Was Wrabetz verschwieg: Auch diese erst im Herbst 2017 eingeführten Regeln der „New York Times“sorgten für viel Kritik. Und das, obwohl sie weniger weit als die neuen Regeln des ORF gehen. Sie untersagen „parteische Meinungen, das Bewerben von politischen Ansichten oder Kandidaten sowie beleidigende, anstößige Kommentare“. Grundregeln, die auch für ORF-Mitarbeiter gelten sollten. Doch die neuen Leitlinien des ORF gehen viel weiter: Sie verbieten jede Kritik und Wertung von politischen Institutionen. Das ist ein Eingriff in das Recht auf Meinungsäußerung.
Irgendetwas ist da bei der Umsetzung der neuen Richtlinien schiefgelaufen. Sogar Bundeskanzler Sebastian Kurz nahm dazu Stellung und düpierte den ORF-Chef sowie die Stiftungsräte, die diese strengeren Regeln so lange gefordert hatten. Er halte „die Meinungsfreiheit für ein hohes Gut“, den „Erlass“sehe er „sehr skeptisch“, so Kurz.