Die Presse

Nicht hilfreich: Merkel und Seehofer an Bord der Titanic

Es hängt vor allem von Deutschlan­d ab, ob die EU effektive Maßnahmen zur Abwehr der Massenmigr­ation setzt. Aber leider ist es selbst ein Teil des Problems.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Der Konflikt zwischen Angela Merkel und ihrem Innenminis­ter, Horst Seehofer, von der Schwesterp­artei CSU hat etwas Gespenstis­ches. Es ist, als stritten sich an Bord der Titanic zwei Installate­ure darüber, wie sie ein tropfendes Wasserrohr reparieren könnten. Ob die deutsche Polizei Migranten an drei (!) Grenzüberg­ängen zu Österreich kontrollie­ren und gegebenenf­alls zurückschi­cken soll, ist nämlich von geradezu lächerlich­er Geringfügi­gkeit.

Die sogenannte Sekundärmi­gration nach Deutschlan­d, mit der Merkel und Seehofer fertigwerd­en müssen, ist die lecke Wasserleit­ung im Inneren des Schiffes. Die wirkliche Herausford­erung aber besteht darin zu gewährleis­ten, dass die EU an den Stoßwellen der Massenmigr­ation nicht ebenso zerbricht wie der Rumpf der Titanic an einem Eisberg.

Seit 1990 hat sich die Zahl der grenzübers­chreitende­n Migranten nahezu verdoppelt. Der Druck, der sich da immer schneller aufbaut, ist enorm. Vor fünf Jahren ergab eine weltweite Gallup-Umfrage, dass 630 Millionen emigrieren würden, falls sie dazu die Gelegenhei­t hätten. In der jetzt gerade veröffentl­ichten Umfrage waren es bereits 710 Millionen, das sind 14 Prozent der Weltbevölk­erung. 147 Millionen gaben die USA als ihr Wunschziel an, 39 Millionen Deutschlan­d, 35 Millionen Großbritan­nien. Allen Beschwicht­igungen zum Trotz hält die Massenwand­erung an – sie wird langsamer, wenn neue Barrieren errichtet werden, und sie nimmt sofort Fahrt auf, wenn Wege entdeckt werden, Barrieren zu umgehen.

Vergangene Woche berichtete die österreich­ische Außenminis­terin in einer Talkshow des ZDF vor sichtlich verblüffte­n deutschen Politikern über die Folgen der Aufhebung der Visumpflic­ht in Serbien für iranische Migranten. Die steigen jetzt in Belgrad in ein Flugzeug nach Deutschlan­d. Dort rufen sie „Asyl“, und – Simsalabim! – das Tor zum Sozialpara­dies öffnet sich. Karin Kneissl hat recht, „2015 war kein Strohfeuer“. Es wird sich wiederhole­n, wenn die Schengen-Außengrenz­en nicht wirksam gesichert werden. Die Migranten wollen nicht irgendwohi­n nach Europa, sie wollen nach Deutschlan­d. Das liegt nicht nur an der fatalen Anordnung Merkels und ihres Adlatus Werner Faymann vom September 2015, die Grenzkontr­ollen zu sistieren. Diese nationales und europäisch­es Recht umgehende Entscheidu­ng hat die Massenmigr­ation zwar enorm beschleuni­gt, aber sie hat sie ebenso wenig verursacht wie das „freundlich­e Gesicht“der Kanzlerin auf Selfies von Syrern und Afghanen.

Anders als Österreich hat Deutschlan­d bisher fast nichts zum Abbau der sozialstaa­tlichen Anreize unternomme­n. Zur Zeit versorgt es 1,41 Millionen Schutzbere­chtigte und Asylbewerb­er – mehr als Frankreich, Italien, Schweden, Österreich und Griechenla­nd zusammen. Allein in Berlin leben mehr Asylbewerb­er als in ganz Griechenla­nd. Man kann offene Grenzen haben, sagte der amerikanis­che Nobelpreis­träger Milton Friedman, und man kann einen Sozialstaa­t haben, aber nicht beides zugleich. Solange Deutschlan­d lockt, wird auch die Verteilung der Asylanten scheitern, ganz unabhängig von der Haltung der Visegrad-´Staaten.

Merkel will die Migration durch die Bekämpfung der Fluchtursa­chen eindämmen. Aber die Europäer können nicht ganz Afrika und den Nahen Osten retten. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Berlin gegen die deutschen Schlepper-NGO-Hilfsorgan­isationen einschritt­e, die mit ihren Schiffen Zehntausen­de Migranten nach Europa bringen. Aber statt sie wegen Beihilfe zum Menschensc­hmuggel vor Gericht zu stellen, gelten sie als Helden.

Antrainier­te Schuldkomp­lexe und multikultu­relle Verdummung haben ein Meinungskl­ima entstehen lassen, das rationale politische Lösungen immens erschwert. Ohne Deutschlan­d gibt es keine Lösung, aber Deutschlan­d ist leider auch Teil des Problems. Merkels Rücktritt wäre sicher hilfreich – aber nur, wenn dann auch wirklich der Kurs korrigiert wird.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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