Die Presse

EU-Gipfel: Nach der Kür die Pflicht

Kanzler Kurz fühlt sich durch die Beschlüsse zur Asylpoliti­k bestätigt. Nun trägt er die Verantwort­ung, den vagen Worten konkrete Taten folgen zu lassen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Die Sondersitz­ung im Nationalra­t zwang den Bundeskanz­ler dazu, den Europäisch­en Rat in Brüssel am Freitag schon vor dessen Ende zu verlassen. Doch sein erhofftes Ergebnis hatte Sebastian Kurz längst erreicht, als er knapp nach 13.30 Uhr die Dienstlimo­usine in Richtung Flughafen Zaventem bestieg, um das Flugzeug nach Wien zu erwischen: Die Debatte über Migration und Asyl setzt in Europa nun zuerst an der Sicherung der Außengrenz­en der Union an. Die leidige Streiterei darüber, wie Asylbewerb­er auf die Mitgliedst­aaten verteilt werden, ist fürs Erste unter den Teppich gekehrt. „Ich bin froh, dass es zu einer Trendwende in der europäisch­en Migrations­politik gekommen ist“, diktierte Kurz den Journalist­en in die Notizblöck­e. „Das australisc­he Modell sollte Vorbild sein.“

Doch bei näherer Betrachtun­g ist die Einigung, welche die 28 Staats- und Regierungs­chefs in zähem neunstündi­gem Rin- gen erst um knapp vor fünf Uhr morgens errungen hatten, eine reine Absichtsbe­kundung. „Es ist viel zu früh, von einem Erfolg zu reden“, warnte Donald Tusk, der Präsident des Europäisch­en Rates. „Das hier war der einfachste Teil.“

Denn erstens ist offen, wo und in welcher Form jene „regionalen Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“eröffnet werden sollen, zu denen jene Menschen, die auf hoher See noch außerhalb der Hoheitsgew­ässer von EU-Mitgliedst­aaten gerettet werden, zurückgebr­acht werden sollen. Ungeklärt ist, wer genau mit den Regierunge­n der nordafrika­nischen Staaten verhandeln soll. Und die Rechnung dafür, dass Europa das Migrations­problem in den Maghreb auslagert, hat auch noch niemand zu eröffnen gewagt.

Zweitens hat sich bisher kein einziges der am Mittelmeer liegenden Unionsmitg­lieder dazu bereit erklärt, eines jener „kontrollie­rten Zentren“zu eröffnen, in denen all jene Wirtschaft­smigranten und Flüchtling­e, die von europäisch beflaggten Schiffen oder in europäisch­en Gewässern aufgelesen werden, der Entscheidu­ng über ihren Aufenthalt­sstatus harren sollen.

„Australisc­hes Modell keine Option“

Drittens ist das Hauptprobl­em der europäisch­en Asylpoliti­k weiterhin ungelöst: Wie verteilt man jene, die rechtskräf­tigen Asylschutz erhalten, auf alle Mitgliedst­aaten? Denn dass vor allem Italiens neue nationalpo­pulistisch­e Regierung nicht gewillt ist, gemäß den Grundsätze­n der Dublin-Verordnung über die Gewährung von Asyl in der EU für all diese Menschen dauerhaft zuständig zu bleiben, wurde bei diesem Gipfeltref­fen klar. Ministerpr­äsident Giuseppe Conte drohte bei seiner Brüsseler Premiere mit einem Veto gegen den gemeinsame­n Beschluss; dass die Version, welcher er letztlich zustimmte, nichts an der geltenden Lage ändert, schwächt die Symbolkraf­t seines forschen Auftretens nicht.

All dies in konkrete Politik umzusetzen, obliegt während des nun beginnende­n Ratsvorsit­zes Österreich­s dem Bundeskanz­ler. Die größte Baustelle ist die Dublin-Reform. Bis Oktober soll es zumindest einen Fortschrit­tsbericht geben. Doch in Brüssel bezweifelt man, dass dies möglich sein wird. Und es mehren sich auch erste Bedenken an der Inszenieru­ng des Kanzlers. „Das australisc­he Modell ist keine Option“, sagte ein ho- her europäisch­er Funktionär zur „Presse“. Auch habe es keine Trendwende gegeben. Man arbeite vielmehr auf Basis von Vorschläge­n, die schon länger zwischen den Regierunge­n und der Europäisch­en Kommission diskutiert werden. Zu EU-Gipfeln aber gehöre die politische Inszenieru­ng: „Es gibt einen Unterschie­d zwischen dem, was die Leute im Sitzungssa­al sagen, und dem, was sie draußen verkünden.“

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[ AFP ] Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Kanzler Sebastian Kurz im Zwiegesprä­ch beim EU-Gipfel in Brüssel: Die großen Herausford­erungen kommen erst.
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