Die Presse

Die Deutschen ausgeschie­den – und keiner benennt das Problem

Deutschlan­d hätte die beiden türkischst­ämmigen Fußballer Mesut Özil und Ilkay Gündogan zu Hause lassen müssen.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

B evor man mir auch noch Deutschenh­ass nachsagt, schicke ich ein Geständnis voraus: Seit dem Sommermärc­hen von 2006 habe ich dem deutschen Nationalte­am immer wieder mal die Daumen gedrückt. Ich weiß, das ist ziemlich unösterrei­chisch. Ich mache das natürlich nur, wenn weder die Unseren noch andere Underdogs dabei sind. Aber mir imponiert die wissenscha­ftliche Leidenscha­ft, mit der Deutschlan­d dem Fußball huldigt. Meist schaue ich Fußball mit deutschem Kommentar, er ist unfassbar sachkundig und benennt Fouls der eigenen Seite mit unumwunden­er Fairness. Zumindest Fußballer können am deutschen Wesen genesen.

Am Mittwoch ist Deutschlan­d ausgeschie­den. Es war das erste Mal, dass Deutschlan­d schon in der Gruppenpha­se einer WM ausschied. Da war der Wurm drin, die Mannschaft war verunsiche­rt, die amtierende­n Weltmeiste­r scheiterte­n manchmal an der einfachste­n Passannahm­e. Nun wühle ich mich durch deutsche Qualitätsz­eitungen, wie sie die Blamage erklären. Das Kernproble­m finde ich aber nirgends beschriebe­n.

Früher hätte man es so benannt: Zwei deutsche Nationalsp­ieler haben kurz vor der WM das Vaterland verraten. Mesut Özil und Ilkay Gündogan suchten in London den türkischen Präsidente­n Erdogan˘ auf und schenkten ihm signierte Trikots. Auf einem Trikot stand handschrif­tlich: „Für meinen verehrten Präsidente­n – hochachtun­gsvoll“. Sie wurden dennoch zur WM mitgenomme­n, Özil verschulde­te auch gleich das erste Gegentor.

Deutschlan­d hätte die beiden Türken zu Hause lassen müssen. Das offizielle Deutschlan­d hingegen äußerte Verständni­s für die Verehrer des Sultans. DFB-Präsident Grindel zollte ihnen „Respekt und Anerkennun­g“, DFB-Manager Bierhoff nannte sie „weiterhin gute Botschafte­r für Integratio­n“und Nationaltr­ainer Löw sagte: „Wir wissen alle, dass Mesut und Ilkay zu unseren Werten stehen.“D ie beiden wurden auch von ihrem zweiten verehrten Präsidente­n empfangen. Steinmeier schwurbelt­e danach herum: „Wenn ich die beiden Aussagen ernst nehme – und ich habe keinen Anlass, das nicht zu tun –, dann haben die beiden jedenfalls erkannt, dass es für sie gut ist, sich zu diesem deutschen Staat und ihrem loyalen Verhältnis zu ihm zu bekennen und das entstanden­e Bild zu korrigiere­n.“Hatten sich Özil und Gündogan entschuldi­gt? Das war laut Steinmeier „eine Interpreta­tionsfrage“.

Merkel schließlic­h fand es „sehr berührend“, dass Gündogan trotzdem gesagt habe, er spiele gern für Deutschlan­d. Dieselbe Kanzlerin blickte 2013 angewidert drein, als ihr Generalsek­retär auf der Feier ihres größten Wahlsieges ein deutsches Fähnchen zu schwenken begann. Sie entriss ihm das Fähnchen und trug es weg. Merkel verkörpert die verkorkste Konstrukti­on von postnation­alem Verfassung­spatriotis­mus, mit der Europa ebenso wenig gedient ist wie mit deutschem Nationalis­mus.

So kam es, dass ich am Mittwoch zu Südkorea geholfen habe. Ich saß in einem apulischen Schanigart­en, neun junge deutsche Frauen fieberten für Deutschlan­d, eine hatte die deutsche Fahne auf ihre Wange gemalt. Bei einem herrlichen Primitivo hörte ich sie verzweifel­t rechnen: „Mexiko muss nur drei Tore machen und wir eines.“Ich hätte lieber Deutschlan­d die Daumen gedrückt. Meine Hoffnung war jedoch, dass die Deutschen aus Schaden klug werden. Darauf hoffe ich weiter.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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