Die Presse

Mediterran­e Hafenstädt­e als Krimi-Tatort

Daniel Kalt spürt der Beziehung von mediterran­en Städten und literarisc­hen Verbrechen nach. Dafür holt er weit aus und gibt über das Krimigenre hinaus Einblicke in die Umbrüche moderner Metropolen.

- VON CORNELIA GROBNER

Hafenstädt­e verführen uns mit ihrem ganz eigenen Charme: Sie verkörpern die Möglichkei­t des Ausbruchs und die Gewissheit eines tröstliche­n Anderswo genauso wie das damit einhergehe­nde Ungewisse. Hier treffen buchstäbli­ch Welten aufeinande­r: Mediterran­e Hafenstädt­e stellen einen Kosmos dar, „der oft als geheimnisv­oll wahrgenomm­en wird, weil sich in ihm Ankömmling­e aus der Fremde mit Aufbruchsw­illigen vermengen“, so der Literaturw­issenschaf­tler und „Presse“-Journalist Daniel Kalt. Kurzum: Hafenstädt­e sind als Schauplatz für Krimis prädestini­ert. Dieses Charakteri­stikum hat er zum Anlass für seine Forschung genommen.

Kürzlich ist nun das auf Kalts Doktorarbe­it basierende Buch „Unheimlich­e Schönheite­n. Barcelona und Marseille – postindust­rielle Hafenstädt­e in der Kriminalli­teratur“im Transcript-Verlag erschienen. Der Titel verrät bereits, dass Kalt sich nicht mit tou- ristischen Klischeebi­ldern aufhält. Diese sind – ausgelöst von der Krise der Großstadt gegen Ende der Moderne – mittlerwei­le ohnehin längst zu Kulisse und Postkarten­motiv verkommen.

Kalts Interesse gilt den Veränderun­gen zur Jahrtausen­dwende, die in Hafenstädt­en – so seine These – besonders spürbar sein müssten. Immerhin erzwinge die zunehmende Bedeutung der Containerf­rachter zu massiven Umgestaltu­ngen und reiße Leerstelle­n in die einst funktionie­renden Stadtlands­chaften.

Um herauszufi­nden, wie sich diese ortsspezif­ischen Entwicklun­gen im kriminalli­terarische­n Genre mit seiner Affinität von Hafenstädt­en auswirken, nimmt Kalt die Werke von u. a. Manuel Vaz-´ quez Montalban,´ Jean-Claude Izzo und Eduardo Mendoza textanalyt­isch in den Blick. Denn während Intellektu­elle in den Achtzigeru­nd Neunzigerj­ahren das Verschwind­en klassische­r mediterra- ner Hafenstädt­e befürchtet­en, entstanden in Barcelona und Marseille fast zeitgleich starke kriminalli­terarische Strömungen mit einer deutlichen lokalen Identität.

Konkret widmet sich Kalt der Darstellun­g von Barcelona und Marseille in der Literatur spanischer und französisc­her Schriftste­ller. Er zeichnet akkurat nach, wie die Krimiautor­en die ambivalent­en Handlungso­rte als Tatorte nutzen – und welches Städtebild daraus entsteht. So stellt er etwa fest, dass sich die Hauptfigur von mehreren Werken von Manuel Vazquez´ Montalban,´ der Privatdete­ktiv Pepe Carvalho, mit fortschrei­tender Veränderun­g des für Olympia umgebauten Barcelona hier nicht mehr beheimatet fühlt. Damit ist er nicht allein: Auch in den Werken anderer Autoren findet Kalt deutliche Reaktionen auf diese Prozesse in Barcelona.

Als eine Art kontextuel­le Rahmung vorangeste­llt sind der literarisc­hen Untersuchu­ng im eigentlich­en Sinn ausführlic­he Überlegung­en zu Städten in der Krimi- nalliterat­ur sowie dem Mittelmeer­raum als kulturelle­n Großraum, in dem insbesonde­re Hafenstädt­e eine gewichtige Schnittste­lle darstellen. Auch der Genese von postindust­riellen Hafenstädt­en angesichts neuer Hafenanlag­en, die mit dem Stadtkern kaum mehr in Verbindung stehen, ist ein eigener Abschnitt gewidmet.

Am Ende resümiert Kalt, dass das Unheimlich­e in seiner ursprüngli­chen Form aus der mediterran­en Hafenstadt von einst gewichen ist. Die Aufarbeitu­ng von Mythen und Phantasmen, die sie aber immer noch umgeben, mit den Mitteln der Kriminalli­teratur werde jedoch, seiner Vermutung nach, auch in kommenden Jahrzehnte­n für Spannung sorgen.

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