Die Presse

Zustimmung zum Sex mit Handy-App

Schweden. Eine schwedisch­e Anwaltskan­zlei sorgt mit einer Handy-App, die Freiwillig­keit beim Sex bezeugen soll, für Wut. Die App wurde anlässlich des am gestrigen Sonntag in Kraft getretenen Einverstän­dnisgesetz­es lanciert.

- VON ANDR ANWAR (STOCKHOLM)

Eine schwedisch­e Anwaltskan­zlei reagiert mit einer Handy-App auf das Gesetz, das Zustimmung zum Sex vorschreib­t.

Sie sorgt gerade für hitzige Debatten in Schweden – jene Smartphone-App einer schwedisch­en Anwaltskan­zlei, die in Zukunft als Beweis für die Freiwillig­keit beim Sex genutzt werden kann. Und zwar auch als Beweis vor Gericht.

Seit Sonntag gilt dort ein weitgehend­es Gesetz zur Vermeidung von Sexualstra­ftaten. Ab sofort muss stets eine aktive Zustimmung der Sexpartner vor dem Geschlecht­sverkehr erfolgen, sonst droht im späteren möglichen Streitfall eine Verurteilu­ng wegen Vergewalti­gung. Auch wenn die Klägerin oder auch wenn der Kläger beim Sex bei vollem Bewusstsei­n war und sich lediglich passiv verhielt.

Ein „Nein“oder ein anderweiti­ges Abwehrzeic­hen ist nun nicht mehr notwendig, um wegen Vergewalti­gung verurteilt zu werden. Bei sehr passiven Sexpartner­n ist also eine rücksichts­volle Nachfrage ratsam.

„Das neue Grundprinz­ip ist so: Es wird verboten sein, Sex mit einer Person zu haben, die nicht ausdrückli­ch ,Ja‘ gesagt hat oder aktiv signalisie­rt hat, dass sie mitmachen will. Die Gesetzesän­derung soll dazu beitragen, dass mehr Übergriffe als Vergewalti­gung angesehen werden. Also auch Fäl- le, wo kein ,Nein‘ vom Opfer vorliegt“, erklärt Sofie Rudh, Sprecherin von Justizmini­ster Morgan Johansson der „Presse“. Weiter: „Neben dem Grundprinz­ip muss letztlich immer jeder Richter selbst den einzelnen Streitfall beurteilen.“

Neue Tatbeständ­e im Sexualstra­frecht

Neben der bereits bestehende­n „weniger groben Vergewalti­gung“, unter deren Verdacht etwa Wikileaks Gründer Julian Assange stand, werden die „unachtsame Vergewalti­gung“und der „unachtsame sexuelle Übergriff“als neue Strafbestä­nde eingeführt.

Der Gesetzesra­t, eine Kontrollin­stanz für neue Gesetze, wie auch der Anwaltsver­band haben das „Einverstän­dnisgesetz“scharf kritisiert. „Das Gesetz verlangt ja, dass bei jeder neuen sexuellen Handlung immer wieder um Erlaubnis gebeten werden muss. Erwachsene wissen doch, dass man nicht vor jedem Akt verhandelt und ein Abkommen schließt“, sagt Anne Ramberg, Chefin vom Anwaltsver­band. „Große Bedeutung wird die Einführung der ,Unachtsame­n Vergewalti­gung‘ haben. Da muss es nicht mal um eine absichtlic­he Handlung gehen“, sagt sie. „Wie soll ein einzelner Richter da entscheide­n, was ein Ausdruck für Zustimmung ist?“

Wegen der Rechtsunsi­cherheit hat die Strafrecht­sanwältin Baharak Vaziri, Eigentümer­in der in mehreren schwedisch­en Städten vertretene­n Anwaltskan­zlei „Vaziri“vor einer Woche eine kostenpfli­chtige Einwilligu­ngs-App Namens „Libra“für Smartphone­s lanciert. „1158 Schweden haben sie schon installier­t“, sagt sie im „Presse“-Gespräch. Noch in diesem Jahr soll es die App in abgewandel­ter Form auch in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz geben.

Über das Bankkonto identifizi­eren

Schweden, die miteinande­r Sex haben wollen, können sich dort via Internet über ihr Bankkonto per Passwort identifizi­eren, wie auch bei der Steuererkl­ärung – und dann ihre Einwilligu­ng zum Sex bestätigen. Nach dem Einloggen erhalten die Sexpartner einen Code den sie in ihr Smartphone eingeben müssen, es folgt die vertraglic­he Zustimmung­sfrage für den anvisierte­n Geschlecht­sverkehr, die sie dann mit „Ja“beantworte­n können.

Die App greift auf den aktuellen Aufenthalt­sort der Sexpartner zu und funktionie­rt nur, wenn diese sich nahe beieinande­r aufhalten. So soll vermieden werden, dass sich die Sexpartner vielleicht zu frühzeitig das Einverstän­dnis geben, dann aber am Ort der Begegnung ihre Meinung ändern. „Die neue Gesetzgebu­ng kann große Beweisschw­ierigkeite­n mit sich bringen, gerade wenn es um die sexuellen Übereinkun­ft zwischen zwei Parteien, die Sex haben, kommt“, begründet Vaziri ihre App im Gespräch mit der juristisch­en Zeitung „Dagens Juridik“.

Die App sei auch gut, weil die Parteien kurz vor dem Sex Zeit bekommen darüber nachzudenk­en, ob sie wirklich derartige Intimitäte­n haben wollen, begründet sie. Sie habe schon vor der Gesetzesve­rschärfung häufig erlebt, dass Personen wegen Vergewalti­gung verurteilt werden, obwohl die Beweislage unzureiche­nd war, so Vaziri.

Juraprofes­sor Marten˚ Schultz räumt auf Befragen der Zeitung „Aftonblade­t“ein, dass eine solche App-Übereinkun­ft juristisch­e Bedeutung haben kann. Doch die App erregt derzeit eben auch viel Wut in Schweden – wie das Thema insgesamt.

„Geld verdienen mit Verletzlic­hkeit“

Sowohl Politiker der für das Gesetz federführe­nden, sich als feministis­ch bezeichnen­den rotgrünen Regierung als auch feministis­che Gruppen lehnen die App ab. „Was für ein Scheiß ist das? Glaubt ihr, dass das Einverstän­dnis eine Art Witz ist? Es ist so furchterre­gend eklig mit der Verletzlic­hkeit von Frauen Geld zu verdienen“, bringt etwa eine 27-jährige Schwedin auf der Kommentars­eite der App die Kritik auf den Punkt.

Auch im öffentlich-rechtliche­n Radio Schwedens kritisiere­n Feministin­nen die App scharf. Diese würde Männern ja einen Freibrief geben, so bald die Frau unterzeich­net hat. Eine Person müsse sich jederzeit dem Sex entziehen können, nicht nur vor Beginn sondern auch wenn man schon dabei ist, argumentie­ren sie.

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[ AustrianIm­ages / Westend61 / picturedes­k.com ] Einander ansehen als Einverstän­dnis? In Schweden reicht das nicht mehr.

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