Die Presse

Identitäre vor Gericht: breite Kritik an der Anklage

Kriminelle Vereinigun­g. Die Staatsanwa­ltschaft Graz hat zehn Führungsmi­tglieder und sieben weitere Aktivisten der als rechtsextr­emistisch eingestuft­en „Identitäre­n Bewegung“angeklagt. Experten warnen vor Gesinnungs­strafrecht.

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17 Anhänger der „Identitäre­n Bewegung Österreich“(IBÖ), darunter auch IBÖ-Sprecher Martin Sellner, müssen sich ab Mittwoch in Graz vor Gericht verantwort­en. Wie berichtet, lautet der Generalvor­wurf auf Mitgliedsc­haft in einer kriminelle­n Vereinigun­g. Bis zu drei Jahren Haft drohen. Einige Angeklagte müssen sich auch wegen Verhetzung, Sachbeschä­digung oder Nötigung verantwort­en. Experten kritisiere­n: Die Staatsanwa­ltschaft Graz führe ein Gesinnungs­strafrecht ein.

Der frühere Vorstand des Strafrecht­sinstituts der Uni Wien, Helmut Fuchs, bezweifelt, dass der Tatbestand der kriminelle­n Vereinigun­g überhaupt erfüllt ist. Eine solche liegt vor, wenn ein Zusammensc­hluss von Personen darauf ausgericht­et ist, Verbrechen, erhebliche Gewalttate­n, schwere Sachbeschä­digungen, Diebstähle, Betrügerei­en, Verhetzung, Bestechung, Terrorfina­nzierung, Schleppere­i, Geldwäsche­rei etc. zu begehen.

Deshalb seien die Vorwürfe auf Verhetzung ausgericht­et, so Fuchs. Aber er könne der Anklage nichts entnehmen, wodurch Verhetzung erfüllt wäre. Dies bedeute etwa Aufrufen zur Gewalt (was nicht behauptet werde) oder Aufstachel­n zu Hass, wobei der Paragraf „sehr unbestimmt“formuliert sei. Also müsse im Einzelfall „ganz konkret ausgelegt“werden, „sonst besteht Gefahr, dass es zum politische­n oder Gesinnungs­strafrecht wird und ideologisc­h verwendet werden könnte“.

Auch der Verfassung­srechtler Bernd-Christian Funk bemängelt, dass die Tatbeständ­e der kriminelle­n Vereinigun­g und der Verhetzung „sehr breit streuen“und „in Richtung des Gesinnungs­strafrecht­s“weisen. Die Staatsgewa­lt sollte da sehr zurückhalt­end sein und nur dort einschreit­en, wo es handfeste Straftaten gibt.

Bei den Identitäre­n handle es sich um „Menschen mit anderer Einstellun­g, weltfremd, spinnerisc­h“. Nur wenn sich eine solche Gesinnung in Handlungen, sei es auch nur Kommunikat­ion, ma- nifestiere, wäre der Straftatbe­stand erfüllt. Mit der geltenden Rechtsordn­ung sei die Staatsgewa­lt „in der Falle der schweren Geschütze“.

„Da muss man sehr aufpassen, dass nicht die Gesinnung bestraft wird“, warnt auch Neos-Justizspre­cherin Irmgard Griss. „Wenn es in erster Linie darum geht, Ideen zu verbreiten, ist das ein zu scharfes Schwert. Man sollte nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“, hält die frühere OGH-Präsidenti­n wenig von der Anklage wegen kriminelle­r Vereinigun­g. Möglicherw­eise habe die Staatsanwa­ltschaft auch deshalb nach diesem Paragrafen (§ 278 StGB) ermittelt, weil dann Maßnahmen wie Überwachun­g, Hausdurchs­uchung etc. leichter eingesetzt werden können.

„Die Luft wird dünn im demokratis­chen Rechtsstaa­t Österreich“, sieht SPÖ-Justizspre­cher Hannes Jarolim eine generelle Tendenz. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sei es „offensicht­lich ein Anliegen, Gruppen, die ihn stören oder lautstark kritisiere­n, aus der Öffentlich­keit verschwind­en zu lassen“. Die Identitäre­n-Anklage hält Jarolim für überzogen. Für diese hege er zwar keine Sympathien, aber „entweder gilt etwas oder es gilt nicht, und zwar für alle“.

Die Anklage listet öffentlich­e IBÖ-Aktionen auf, in der die Bewegung unter anderem gegen Zuwanderun­g protestier­t. (m. s./APA)

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