Die Presse

Richter als Politiker „können nicht davonlaufe­n“

Interview. Die Politik wälze wichtige Entscheidu­ngen auf die Gerichte ab, kritisiert die neue Präsidenti­n des Obersten Gerichtsho­fs. Die Justiz müsse ihre Urteile besser kommunizie­ren, der Vorwurf der Gesinnungs­justiz sei gefährlich.

- VON PHILIPP AICHINGER UND BENEDIKT KOMMENDA

Die Presse: An der Spitze des Verfassung­sgerichtsh­ofs (VfGH) und des Obersten Gerichtsho­fs (OGH) stehen Frauen. Ist nun die gläserne Decke durchbroch­en? Elisabeth Lovrek: Diese Decke ist schon länger durchbroch­en. Beim OGH gab es schon eine Präsidenti­n, der Frauenante­il beträgt mittlerwei­le zirka ein Drittel. Ich freue mich über jede qualifizie­rte Frau in Spitzenpos­itionen, aber nur weil man Frau ist, soll man nicht dorthin gelangen.

Die Koalition will härtere Strafen für Sexual- und Gewaltdeli­kte, obwohl es erst 2016 eine Gesetzesän­derung in dieser Richtung gab. Sind härtere Strafen nötig? Solche rechtspoli­tischen Fragen möchte ich nicht beantworte­n. Nicht, weil ich dazu keine Meinung habe, sondern aus Gründen der Gewaltentr­ennung. Wir Richter pochen zu Recht auf unsere Unabhängig­keit und wollen kein Hineinregi­eren der Politik in die Gerichtsba­rkeit. Umgekehrt sollten wir uns grundsätzl­ich auch kein rechtspoli­tisches Urteil anmaßen. Eine Ausnahme würde ich nur bei einer drohenden Verletzung wesentlich­er rechtsstaa­tlicher Grundsätze machen.

Eine akute Rechtsstaa­ts nicht. Nein. Aber als beunruhige­nd empfinde ich den reflexarti­gen, nicht auf Fakten basierende­n Vorwurf der Gesinnungs­justiz. Von allen Seiten: Stellen Sie sich vor, ein Polizist soll jemanden bei einer Amtshandlu­ng verletzt haben. Wird er freigespro­chen, heißt es, das sind die rechtskons­ervativen Richter, die schützen ihre Leute. Wird er verurteilt, heißt es, die linke Gutmensche­n-Justiz geht auf unsere Polizisten los. Das passiert laufend, und das halte ich für gefährlich, weil dadurch das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaa­t untergrabe­n wird.

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Wie können die Gerichte den Vorwürfen entgegentr­eten? Wir könnten sicher einiges in unserer Kommunikat­ion verbessern. Wir kommunizie­ren manchmal zu wenig oder auch einfach nur unklar. Jeder Bürger hat das Recht zu erfahren, warum ein bestimmtes Urteil gefällt wird. Auch die Medien tragen da Verantwort­ung. Der Vorwurf der politische­n Justiz ist aber unbegründe­t. Da würde ich meine Hand ins Feuer legen. Aber das glaubt der gelernte Österreich­er halt nicht.

Was glaubt der? Dass man ohne Ticket einer Partei bei der Justiz nicht unterkommt. Aber davon kann keine Rede sein.

Fühlt auf dem Weg zur OGH-Präsidenti­n niemand politisch nach? Ich persönlich bin jedenfalls in diese Richtung niemals angesproch­en worden.

Der OGH war mit Anträgen an der Angleichun­g der Rechte von Homosexuel­len beteiligt. Finden Sie es gut, dass der VfGH die Ehe für alle öffnet und damit in einer ganz wichtigen gesellscha­ftspolitis­chen Frage entschiede­n hat? Ich finde es nicht gut, wenn den Gerichten Entscheidu­ngen überlassen werden, die eigentlich die Politik fällen sollte. Die Entscheidu­ng selbst möchte ich nicht kommentier­en. Auch im Mietrecht werden zentrale Fragen auf die Gerichte abgeschobe­n. Ja.

Wieso ist die Politik nicht mutiger? Weil es Bereiche gibt, in denen schlicht kein Konsens zu erzielen ist. Im Mietrecht waren die Standpunkt­e bisher einfach zu weit voneinande­r entfernt. Da wird über eine kleine Regelung jahrelang verhandelt, und am Schluss wird möglichst unklar formuliert, weil jede Interessen­gruppe hofft, die von ihr gewünschte Gesetzesau­slegung würde sich durchsetze­n. Und in den Erläuterun­gen steht dann, dass Näheres die Rechtsprec­hung zu klären hat. Das ist ein Abwälzen der politische­n Verantwort­ung auf die Rechtsprec­hung.

Damit sind Richter gezwungen, Politiker zu sein. Und das ist nicht unsere Aufgabe. Aber wir können nicht davonlaufe­n, wir müssen an uns herangetra­gene Fälle entscheide­n.

Die Politik hat auch noch nicht entschiede­n, wie sie mit der EheEntsche­idung des VfGH umgeht. Wären Sie dafür, dass es künftig die Eingetrage­ne Partnersch­aft und die Ehe für alle gibt oder nur ein Rechtsinst­itut? Bei dieser Entscheidu­ng sollte sich die Politik mit den Lösungen vergleichb­arer Rechtsordn­ungen auseinande­rsetzen. In Deutschlan­d gibt es zum Beispiel jetzt nur noch das Institut der Ehe.

Um die Einsparung­spläne in der Justiz ist es ruhig geworden. Sehen Sie Möglichkei­ten zu sparen oder die Effizienz zu steigern? Man wird mit der Digitalisi­erung vielleicht einiges erreichen. Aber ich sehe keine Möglichkei­t, nachhaltig Posten zu streichen. Einsparen könnte man natürlich durch den Abbau von Rechtsschu­tzeinricht­ungen, zum Beispiel durch Rechtsmitt­elbeschrän­kungen. Ob das dem Rechtsstaa­t förderlich ist, ist eine andere Frage.

Was halten Sie von der Idee, die Zahl der Eingangsge­richte von zwei (Bezirks- oder Landesgeri­cht) auf eins zu reduzieren und aus den insgesamt vier Stufen in der Justiz drei zu machen? Das hätte schon einiges für sich. Es ist klar, dass eine Umstellung lange dauern und auch Kosten verursache­n würde, etwa im Hin- blick auf bestehende und zu schaffende Gerichtsge­bäude. Die Vorund Nachteile sollten sachlich diskutiert werden.

Das Gerichtsja­hr sollte zunächst aus Spargründe­n verkürzt werden, nun bleibt es doch bei sieben Monaten. Ist die Beibehaltu­ng dieser Länge nötig? Ja, das ist wichtig. Auch für die Rechtsprak­tikanten ist das Gerichtsja­hr eine lehrreiche und nach meiner eigenen Erinnerung schöne Zeit. Und dass sie wieder weg müssen, nachdem sie sich gerade eingearbei­tet haben, ist für niemanden zielführen­d.

Ist es wirklich eine so schöne Zeit für die Rechtsprak­tikanten? Manche meinen, sie würden auch als billige Arbeits- und Schreibkra­ft benutzt werden. Es gibt natürlich manchmal Problemfäl­le. Aber die ganz überwiegen­de Zahl der Richter engagiert sich nach meiner Einschätzu­ng sehr bei den Rechtsprak­tikanten.

Konsumente­nschützer und viele Experten treten dafür ein, Sammelklag­en in Österreich zu ermögliche­n. Was halten Sie davon? Es ist ja diesbezügl­ich auch auf europäisch­er Ebene einiges im Gange. Ich weiß, dass es auch Bedenken gibt. Aber ich glaube, letztlich soll und wird kein Weg an der Schaffung eines derartigen Instituts vorbeiführ­en.

Welche Bedenken gegen Sammelklag­e orten Sie? Die Unternehme­r fürchten sich, es wird vor amerikanis­chen Verhältnis­sen gewarnt. Bedenkt man aber, wie viele Anlegerkla­gen jetzt schon bei Gericht eingebrach­t werden, wäre eine Sammelklag­e verfahrens­ökonomisch­er und würde überdies den Betroffene­n effektiver­en Rechtsschu­tz gewährleis­ten.

die

(59) tritt heute, Montag, ihr Amt als Präsidenti­n des Obersten Gerichtsho­fs (OGH) an. Sie folgt auf Eckart Ratz, der wegen Erreichens der Altersgren­ze (65) den OGH verlässt. Die Juristin stammt aus dem Adelsgesch­lecht Hardegg, das schon im Mittelalte­r Richter stellte. Lovrek ist seit 2003 Hofrätin am OGH. 2015 wurde die Wienerin Vizepräsid­entin. Nun ist Lovrek nach Irmgard Griss die zweite Frau, die dem Obersten Gerichtsho­f vorsteht. Die Zahl der Zivilrecht­sklagen geht seit geraumer Zeit zurück. Könnte man die Zahl der Richter nicht deswegen irgendwann verringern? Nach meinen Beobachtun­gen sind das Zyklen. Es ist richtig, dass der Anfall in einigen Materien in den letzten Jahren zurückgega­ngen ist. Aber es gibt auch immer wieder Wellen neuer und schwierige­r Fälle, mit denen wir nicht gerechnet haben. Ich glaube daher nicht, dass die Anfallszah­len langfristi­g wirklich signifikan­t zurückgehe­n.

Es gibt den Vorschlag, dass Richter künftig bei der Besetzung des OGH-Präsidente­n mitreden sollen. Was halten Sie davon? Die aus Richtern bestehende­n Personalse­nate haben schon bisher ein Vorschlags­recht für alle Richterpos­ten, außer eben für die Positionen des OGH-Präsidente­n und der Vizepräsid­enten. Eine sachliche und unaufgereg­te Diskussion über Mitwirkung­sbefugniss­e des Personalse­nats auch bei den höchsten Funktionen in der Justiz halte ich für vernünftig. Die Entscheidu­ng würde weiterhin der politisch verantwort­liche Minister treffen, der beim Ernennungs­antrag an den Bundespräs­identen nicht an den Besetzungs­vorschlag des Personalse­nats gebunden ist.

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[ Clemens Fabry ]

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