Richter als Politiker „können nicht davonlaufen“
Interview. Die Politik wälze wichtige Entscheidungen auf die Gerichte ab, kritisiert die neue Präsidentin des Obersten Gerichtshofs. Die Justiz müsse ihre Urteile besser kommunizieren, der Vorwurf der Gesinnungsjustiz sei gefährlich.
Die Presse: An der Spitze des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) und des Obersten Gerichtshofs (OGH) stehen Frauen. Ist nun die gläserne Decke durchbrochen? Elisabeth Lovrek: Diese Decke ist schon länger durchbrochen. Beim OGH gab es schon eine Präsidentin, der Frauenanteil beträgt mittlerweile zirka ein Drittel. Ich freue mich über jede qualifizierte Frau in Spitzenpositionen, aber nur weil man Frau ist, soll man nicht dorthin gelangen.
Die Koalition will härtere Strafen für Sexual- und Gewaltdelikte, obwohl es erst 2016 eine Gesetzesänderung in dieser Richtung gab. Sind härtere Strafen nötig? Solche rechtspolitischen Fragen möchte ich nicht beantworten. Nicht, weil ich dazu keine Meinung habe, sondern aus Gründen der Gewaltentrennung. Wir Richter pochen zu Recht auf unsere Unabhängigkeit und wollen kein Hineinregieren der Politik in die Gerichtsbarkeit. Umgekehrt sollten wir uns grundsätzlich auch kein rechtspolitisches Urteil anmaßen. Eine Ausnahme würde ich nur bei einer drohenden Verletzung wesentlicher rechtsstaatlicher Grundsätze machen.
Eine akute Rechtsstaats nicht. Nein. Aber als beunruhigend empfinde ich den reflexartigen, nicht auf Fakten basierenden Vorwurf der Gesinnungsjustiz. Von allen Seiten: Stellen Sie sich vor, ein Polizist soll jemanden bei einer Amtshandlung verletzt haben. Wird er freigesprochen, heißt es, das sind die rechtskonservativen Richter, die schützen ihre Leute. Wird er verurteilt, heißt es, die linke Gutmenschen-Justiz geht auf unsere Polizisten los. Das passiert laufend, und das halte ich für gefährlich, weil dadurch das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat untergraben wird.
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Wie können die Gerichte den Vorwürfen entgegentreten? Wir könnten sicher einiges in unserer Kommunikation verbessern. Wir kommunizieren manchmal zu wenig oder auch einfach nur unklar. Jeder Bürger hat das Recht zu erfahren, warum ein bestimmtes Urteil gefällt wird. Auch die Medien tragen da Verantwortung. Der Vorwurf der politischen Justiz ist aber unbegründet. Da würde ich meine Hand ins Feuer legen. Aber das glaubt der gelernte Österreicher halt nicht.
Was glaubt der? Dass man ohne Ticket einer Partei bei der Justiz nicht unterkommt. Aber davon kann keine Rede sein.
Fühlt auf dem Weg zur OGH-Präsidentin niemand politisch nach? Ich persönlich bin jedenfalls in diese Richtung niemals angesprochen worden.
Der OGH war mit Anträgen an der Angleichung der Rechte von Homosexuellen beteiligt. Finden Sie es gut, dass der VfGH die Ehe für alle öffnet und damit in einer ganz wichtigen gesellschaftspolitischen Frage entschieden hat? Ich finde es nicht gut, wenn den Gerichten Entscheidungen überlassen werden, die eigentlich die Politik fällen sollte. Die Entscheidung selbst möchte ich nicht kommentieren. Auch im Mietrecht werden zentrale Fragen auf die Gerichte abgeschoben. Ja.
Wieso ist die Politik nicht mutiger? Weil es Bereiche gibt, in denen schlicht kein Konsens zu erzielen ist. Im Mietrecht waren die Standpunkte bisher einfach zu weit voneinander entfernt. Da wird über eine kleine Regelung jahrelang verhandelt, und am Schluss wird möglichst unklar formuliert, weil jede Interessengruppe hofft, die von ihr gewünschte Gesetzesauslegung würde sich durchsetzen. Und in den Erläuterungen steht dann, dass Näheres die Rechtsprechung zu klären hat. Das ist ein Abwälzen der politischen Verantwortung auf die Rechtsprechung.
Damit sind Richter gezwungen, Politiker zu sein. Und das ist nicht unsere Aufgabe. Aber wir können nicht davonlaufen, wir müssen an uns herangetragene Fälle entscheiden.
Die Politik hat auch noch nicht entschieden, wie sie mit der EheEntscheidung des VfGH umgeht. Wären Sie dafür, dass es künftig die Eingetragene Partnerschaft und die Ehe für alle gibt oder nur ein Rechtsinstitut? Bei dieser Entscheidung sollte sich die Politik mit den Lösungen vergleichbarer Rechtsordnungen auseinandersetzen. In Deutschland gibt es zum Beispiel jetzt nur noch das Institut der Ehe.
Um die Einsparungspläne in der Justiz ist es ruhig geworden. Sehen Sie Möglichkeiten zu sparen oder die Effizienz zu steigern? Man wird mit der Digitalisierung vielleicht einiges erreichen. Aber ich sehe keine Möglichkeit, nachhaltig Posten zu streichen. Einsparen könnte man natürlich durch den Abbau von Rechtsschutzeinrichtungen, zum Beispiel durch Rechtsmittelbeschränkungen. Ob das dem Rechtsstaat förderlich ist, ist eine andere Frage.
Was halten Sie von der Idee, die Zahl der Eingangsgerichte von zwei (Bezirks- oder Landesgericht) auf eins zu reduzieren und aus den insgesamt vier Stufen in der Justiz drei zu machen? Das hätte schon einiges für sich. Es ist klar, dass eine Umstellung lange dauern und auch Kosten verursachen würde, etwa im Hin- blick auf bestehende und zu schaffende Gerichtsgebäude. Die Vorund Nachteile sollten sachlich diskutiert werden.
Das Gerichtsjahr sollte zunächst aus Spargründen verkürzt werden, nun bleibt es doch bei sieben Monaten. Ist die Beibehaltung dieser Länge nötig? Ja, das ist wichtig. Auch für die Rechtspraktikanten ist das Gerichtsjahr eine lehrreiche und nach meiner eigenen Erinnerung schöne Zeit. Und dass sie wieder weg müssen, nachdem sie sich gerade eingearbeitet haben, ist für niemanden zielführend.
Ist es wirklich eine so schöne Zeit für die Rechtspraktikanten? Manche meinen, sie würden auch als billige Arbeits- und Schreibkraft benutzt werden. Es gibt natürlich manchmal Problemfälle. Aber die ganz überwiegende Zahl der Richter engagiert sich nach meiner Einschätzung sehr bei den Rechtspraktikanten.
Konsumentenschützer und viele Experten treten dafür ein, Sammelklagen in Österreich zu ermöglichen. Was halten Sie davon? Es ist ja diesbezüglich auch auf europäischer Ebene einiges im Gange. Ich weiß, dass es auch Bedenken gibt. Aber ich glaube, letztlich soll und wird kein Weg an der Schaffung eines derartigen Instituts vorbeiführen.
Welche Bedenken gegen Sammelklage orten Sie? Die Unternehmer fürchten sich, es wird vor amerikanischen Verhältnissen gewarnt. Bedenkt man aber, wie viele Anlegerklagen jetzt schon bei Gericht eingebracht werden, wäre eine Sammelklage verfahrensökonomischer und würde überdies den Betroffenen effektiveren Rechtsschutz gewährleisten.
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(59) tritt heute, Montag, ihr Amt als Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH) an. Sie folgt auf Eckart Ratz, der wegen Erreichens der Altersgrenze (65) den OGH verlässt. Die Juristin stammt aus dem Adelsgeschlecht Hardegg, das schon im Mittelalter Richter stellte. Lovrek ist seit 2003 Hofrätin am OGH. 2015 wurde die Wienerin Vizepräsidentin. Nun ist Lovrek nach Irmgard Griss die zweite Frau, die dem Obersten Gerichtshof vorsteht. Die Zahl der Zivilrechtsklagen geht seit geraumer Zeit zurück. Könnte man die Zahl der Richter nicht deswegen irgendwann verringern? Nach meinen Beobachtungen sind das Zyklen. Es ist richtig, dass der Anfall in einigen Materien in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Aber es gibt auch immer wieder Wellen neuer und schwieriger Fälle, mit denen wir nicht gerechnet haben. Ich glaube daher nicht, dass die Anfallszahlen langfristig wirklich signifikant zurückgehen.
Es gibt den Vorschlag, dass Richter künftig bei der Besetzung des OGH-Präsidenten mitreden sollen. Was halten Sie davon? Die aus Richtern bestehenden Personalsenate haben schon bisher ein Vorschlagsrecht für alle Richterposten, außer eben für die Positionen des OGH-Präsidenten und der Vizepräsidenten. Eine sachliche und unaufgeregte Diskussion über Mitwirkungsbefugnisse des Personalsenats auch bei den höchsten Funktionen in der Justiz halte ich für vernünftig. Die Entscheidung würde weiterhin der politisch verantwortliche Minister treffen, der beim Ernennungsantrag an den Bundespräsidenten nicht an den Besetzungsvorschlag des Personalsenats gebunden ist.