Es ist Hochkonjunktur – und keiner kauft Autoaktien
Zyklische Aktien in guten Zeiten, defensive Papiere in der Krise – diese Strategie lässt sich gar nicht so leicht umsetzen, wie sie klingt.
Defensiv ist nicht automatisch sicher, schon gar nicht in jeder Marktphase.
Aktienstrategen unterscheiden gern zwischen zyklischen und defensiven Branchen. Als „zyklisch“gelten jene Sektoren, die mit dem Konjunkturzyklus stark schwanken. Dazu zählen etwa Autohersteller: In Krisenzeiten halten sich Konsumenten mit dem Kauf von Autos zurück, in Aufschwungphasen legen sie sich dafür häufig einen Neuwagen zu.
Als defensiv gelten Pharmaunternehmen, Stromversorger oder „defensive“Konsumgüterfirmen. Solche verkaufen Lebensmittel oder Haushaltsartikel – Dinge, bei denen Konsumenten auch in Krisenzeiten kaum sparen. In Aufschwungzeiten soll es der Theorie zufolge Zyklikern besser ergehen, in Abschwungphasen den Firmen aus den defensiven Branchen.
Unabhängig von defensiv und zyklisch gibt es auch eine andere Kategorisierung: Branchen, die von stei- genden Zinsen profitieren (Banken) und solche, die besonders stark leiden (Stromversorger und Immobilienfirmen). Eine Untersuchung des Vermögensverwalters WisdomTree zeigt: Immer, wenn in den vergangenen fünf Jahren die Rendite zehnjähriger USAnleihen gestiegen ist (Mai bis Dezember 2013, Jänner bis Juni 2015, Juli bis Dezember 2016 und ab September 2017), erging es Finanzaktien überdurchschnittlich gut, während Versorger und Immobilienunternehmen eine unterdurchschnittliche Performance aufwiesen – und umgekehrt. Denn Banken profitieren von steigenden Zinsen, weil dann auch die Differenz zwischen Spar- und Kreditzinsen steigt. Versorger und Immobilienunternehmen wiederum sind oft stark fremdfinanziert, was bei steigenden Zinsen zur Last werden kann.
Klingt überzeugend, funktioniert aber nicht so einfach. In den vergangenen drei Jahren florierte die deutsche Konjunktur, die Zinsen in der Eurozone wurden auf null gesenkt. Die schlechtesten Werte im DAX aber waren – neben den Banken – die Autohersteller. Dabei ist die Nachfrage nach deutschen Autos hoch – wie es in Hochkonjunkturzeiten der Theorie entspricht. Doch interessieren sich Anleger mehr für die Probleme der Branche, die mit der Konjunktur wenig zu tun haben: zum einen für den Abgasskandal und seine Folgen, zum anderen für die ungewisse Zukunft der Autobranche. Wer weiß schon, welche Auswirkungen Carsharing oder E-Mobilität haben werden?
Defensive Unternehmen, zu deren größten etwa der Schweizer Nahrungsmittelhersteller Nestle´ und der US-Konsumgüterkonzern Procter & Gamble zählen, fanden sich zuletzt auch nicht gerade unter den Überfliegern. Dass sich das ändert, je näher das Ende der Hochkonjunktur rückt, ist nicht ausgemacht. Steigende Zinsen (wie in den USA) machen ausgerechnet defensive Aktien mit regelmäßigen Dividenden weniger attraktiv. In Niedrigzinsphasen werden solche Papiere gern als Ersatz für Staatsanleihen gekauft. Sie bescheren dem Anleger stabile Einnahmen, die Rendite ist aber höher als bei sicheren Staatsanleihen. Ein Vorteil, der mit steigenden Zinsen schwindet. Wenn man für zehnjährige US-Staatsanleihen drei Prozent Rendite erhält, warum sollte man dann Aktien mit einer Dividendenrendite von knapp unter drei Prozent kaufen, deren Kursentwicklung wenig überzeugt? Zumal es an den Börsen ja jederzeit zu einer Korrektur kommen kann. (Staatsanleihen können zwar auch im Kurs schwanken; wenn man sie bis zum Laufzeitende hält, braucht einen das aber nicht zu stören.)
Für Anleger bedeutet das: Defensiv ist nicht automatisch sicher. Zudem können Faktoren dazwischenfunken, die mit der Konjunkturphase nichts zu tun haben. Es bleibt einem also nur, was ohnehin immer sinnvoll ist: gut aufgestellte Unternehmen mit vielversprechendem Geschäftsmodell auszuwählen – und breit zu streuen.