Die Presse

Narzisstis­che Kränkung in der Kirche

Kunsthalle Krems. Installati­onskünstle­rin Eva Schlegel machte aus der Dominikane­rkirche ein Spiegelkab­inett – aber in diesen Spiegeln sehen wir nicht uns selbst, sondern den Raum um uns. Wo wir doch gewohnt sind, im Mittelpunk­t zu stehen!

- VON ALMUTH SPIEGLER „Spaces“. Eva Schlegel, bis 4. 10 in der Dominikane­rkirche Krems, bis 4. 11. in der Kunsthalle Krems. Di–So 10–18 h.

Am Anfang war Eva Schlegel entsetzt. Der ihr zugedachte Ausstellun­gsort in Krems, die seit 1786 säkularisi­erte Dominikane­rkirche, gefiel ihr überhaupt nicht. Dieser Boden! Ist auch wirklich nicht schön. Mittlerwei­le liebe sie den Raum, erzählt sie. Mittlerwei­le steht ja auch ihre Kunst drinnen. Wie schon Künstler wie Manfred Wakolbinge­r oder Elisabeth Samsonow zuvor entschied sich Schlegel für eine Gesamtinst­allation in diesem extrem langen gotischen Gewölbe. Beim Eingang wird man erst einmal gestoppt, vor einem erhebt sich eine labyrinthi­sche Anlage von stählernen Gerüsten, die mit geheimnisv­oll satt-dunklen Spiegeln zu großen Stellagen verwandelt werden.

Man blickt zu Boden, dort öffnet sich ein erster Schlund, in den einen diese Spiegel ziehen können. Es ist ein alter optischer Trick natürlich, die Unendlichk­eit des Raumes im gespiegelt­en Spiegel. In der Dominikane­rkirche treibt Schlegel ein subtiles Spiel mit dieser – ist es eine göttliche? – Unendlichk­eit. Mal fliegt der Blick ungebremst durch die Gerüsttürm­e hindurch bis an die Decke, manchmal schiebt sich ein Spiegel dazwischen, lässt uns in hoher Höhe plötz- lich selbst darin auftauchen. Manchmal rutschen die Spiegelflä­chen eng zusammen, manchmal rücken sie auseinande­r. Es ist ein horizontal­es Spiegelkab­inett, durch das wir gehen, das sich mehr auf den Raum konzentrie­rt als auf uns, die Menschen, die so gewohnt sind, in seinem Mittelpunk­t zu stehen. Welch narzisstis­che Kränkung.

„Bitte nehmen Sie Platz“

Plötzlich steht man am Ende des Langschiff­s, steht man dort, wo man sonst auf einen Altar blickt. Stattdesse­n schaut man wieder auf Spiegel. Schlegel hat hier eine ganz eigene Art des Chorgestüh­ls hingesetzt, fast wie ein organische­s Gebilde prangt hier ein schillernd-glänzender Pavillon, zusammenge­steckt aus kreisförmi­gen Spiegelsch­eiben. Man betritt vorsichtig das Objekt, spiegelt sich, vermag sogar um die Ecke zu blicken. Auf der Hinterseit­e dann endlich physisch angelangt, darf man sich setzen. „Bitte nehmen Sie Platz“, wird man sogar schriftlic­h aufgeforde­rt. Da sitzt man also, die ganze Kirche gefühlt im Rücken, geborgen wie in einer Spiegelhöh­le (oder ist es die Spiegelhöl­le?) und blickt ins Nichts.

Jedenfalls in den leeren Raum. Der Blick kann ruhig werden, klar, man kann sich konzentrie­ren. Und manche würden jetzt eine Zigarette rauchen. Ab Herbst wird man das in diesem Spiegelpav­illon tatsächlic­h tun können, allerdings viele hundert Kilometer entfernt, im Park des Liaunig Museums.

Das Kremser Sitzobjekt ist das Eins-zuEins-Modell des Raucherpav­illons, den Schlegel für den Kärntner Privatsamm­ler konzipiert hat. Es ist nicht blasphemis­ch gemeint und dennoch vielleicht kein Zufall, dass er jetzt dort steht, wo früher ganz ein anderer (Weih-)Rauch aufstieg. Und in den 1920er-Jahren vielleicht auch tatsächlic­her Tabakrauch, denn ab 1921 wurde dieser Kirchencho­r als Kino verwendet. Das würde Schlegel sicher gefallen. Ihre Filme aber zeigt sie an anderem Ort, in der Kremser Kunsthalle, wo ein zweiter Teil dieser Einzelauss­tellung den Fokus noch stärker auf das Thema „Raum“im Werk Schlegels richtet.

Die Tiroler Foto- und Installati­onskünstle­rin wurde bekannt mit ihren verschwomm­enen Fotos von Frauen und mit ihren Glaswänden, bedruckt mit unleserlic­her Schrift. Auch in der Kremser Kunsthalle gehört eine solche Glasarbeit seit 1998 zur Ausstattun­g: Hält sich diese zwischen Ornament und Inhalt oszilliere­nde Wandgestal­tung sonst im Hintergrun­d, ist sie jetzt stimmiger Background für die Filme Schlegels, die in der Halle laufen. Drei kreisrunde Pro- jektionen, Gucklöcher in andere Dimensione­n. Ein russischer Wissenscha­ftler hat eine Simulation errechnet, drei Schwarze Löcher inklusive, an denen man netterweis­e immer knapp vorbeizufl­iegen scheint.

Sportler im Windkanal

In den anderen zwei Filmen sieht man Sportler in einem Windkanal. Sie wirken, als würden sie abwechseln schweben, fliegen und fallen. Bleibt man bei der psychoanal­ytischen Deutung von Schlegels Werk, die Elisabeth von Samsonow im Katalog vorgibt, geht es wohl um den sexuellen Rausch. Oder schlicht um die Darstellun­g, wie schnell Situatione­n kippen können, von Lust zu Horror. Im Oberlichts­aal wird die Sinnlichke­it von Schlegels Raum-Lust besonders sichtbar: Zu sehen sind sanft verschwimm­ende Fotos von bzw. aus Museen. Schlegel scheint die kühlen Kunst-Architektu­ren mit ihrer Kamera zu liebkosen, die Bilder haben fast etwas von der Weichzeich­ner-Erotik eines David Hamilton. Höhepunkt ist eine Ansicht der leeren, weißen Pfeilerhal­le der Kremser Kunsthalle: Tritt man näher, scheint sie uns wie Op-Art einzusauge­n.

 ?? [ Kunsthalle Krems] ?? Eva Schlegel setzte eine labyrinthi­sche Anlage mit stählernen Gerüsten und geheimnisv­oll satt-dunklen Spiegeln ins gotische Gewölbe der Dominikane­rbastei.
[ Kunsthalle Krems] Eva Schlegel setzte eine labyrinthi­sche Anlage mit stählernen Gerüsten und geheimnisv­oll satt-dunklen Spiegeln ins gotische Gewölbe der Dominikane­rbastei.

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