Aus Italien droht vierfache Gefahr für Europa
Wackelige Banken, hohe Staatsverschuldung, wachsender Widerstand gegen Zuwanderung und Italiens ökonomische Misere könnten die Widerstandsfähigkeit des Euro und die europäische Integration auf die Probe stellen.
Der neue italienische Minister für Wirtschaft und Finanzen, Giovanni Tria, hat versucht, den Finanzmärkten zu versichern, dass die neue Koalitionsregierung aus Fünf-SterneBewegung und Lega weder den Euro verlassen, noch das Haushaltsdefizit aufblähen und gegen die EU-Haushaltsvorschriften verstoßen werde. Aber Europa ist noch nicht über den Berg. Durch Italiens populistische, europakritische Regierung haben sich die mittelfristigen Risken weiter erhöht, die vom Bankensektor, der Staatsverschuldung, der Arbeitsund Migrationspolitik und dem Wachstumsmodell ausgehen.
Im November ist der 25. Jahrestag des Vertrags von Maastricht, mit dem aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Europäische Union wurde; im nächsten Jahr feiert der Euro 20. Geburtstag. Beide haben nicht nur überlebt, sondern sind ausgeweitet worden, trotz der Herausforderungen wie etwa der griechischen Staatsschuldenkrise und der Entscheidung Großbritanniens, aus der EU auszutreten. Die Eurozone hat diese Stürme zwar überstanden, wird aber immer noch von einer Reihe ungelöster Probleme geplagt.
In den vergangenen Jahren haben erstarkender Nationalismus und einwanderungsfeindliche Ressentiments populistischen Parteien Zulauf beschert, die gewillt sind, EU-Vorschriften anzufechten und den Bürokraten in Brüssel die Stirn zu bieten. Und seit der Finanzkrise 2008 stehen viele europäische Banken auf wackeligen Beinen und die Verschul- (* 1945 in New York) studierte Wirtschaftswissenschaften in Berkeley. Derzeit ist er Professor für Ökonomie an der Universität Stanford und Senior Fellow der Hoover Institution. Von 1989 bis 1993 war er Chef des wirtschaftlichen Beraterstabs des damaligen amerikanischen Präsidenten George Bush senior. dung der Staaten, Unternehmen und privaten Haushalte befindet sich in einer Reihe von EU-Ländern nach wie vor auf einem hohen Stand. Die Arbeitslosigkeit ist zwar leicht gesunken, aber immer noch doppelt so hoch wie in den USA. Und nachdem es zuletzt einen Aufwärtstrend gegeben hat, ist Europas gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate erneut rückläufig. Zudem altert die Bevölkerung Europas.
Den Versuchen, exorbitanten Transferleistungen, hohen Steuern und starren Regelungen entgegenzusteuern war nur mäßiger Erfolg beschieden. Ein perfektes Beispiel sind die vorgeschlagenen Renten-, Steuer- und Arbeitsmarktreformen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die massive Proteste hervorrufen. Alles in allem leidet Europa seit Langem unter verhaltenem Wachstum, übermäßiger Staatsverschuldung und schwachen, ineffizienten Banken.
Außerdem zeugen die anhaltende wirtschaftliche Misere und schwache Wettbewerbsfähigkeit in einer Reihe von Ländern im Euroraum vom Fehlen einer Währung, die abgewertet werden könnte. Der Verlust der geldpolitischen Souveränität in Verbindung mit demografischen Spannungen und der Krisensituation im Zusammenhang mit Migration und Flüchtlingen erklärt, warum populistische und nationalistische Parteien großen Zulauf erhalten. In Italien, Großbritannien und anderen Mitgliedstaaten wächst die Feindseligkeit gegenüber gemeinsamen Haushaltsvorschriften und so grundlegenden EU-Prinzipien wie dem freien Personenverkehr.
Europas Probleme neigen dazu, sich gegenseitig zu verstärken. Kraftloses Wachstum erschwert es, die notleidenden Kredite der Banken aus der Welt zu schaffen, was wiederum das Wachstum zusätzlich behindert und die Unzufriedenheit der Öffentlichkeit verstärkt. Auch wenn Italiens neue Regierung ein Ausscheren aus dem Euro in nächster Zeit ausgeschlossen hat, wird sie sich den wirtschaftlichen Problemen stellen müssen. Tria behauptet, Ausgabenerhöhungen und Steuersenkungen seien nicht zu erwarten, aber das ist genau der Policy-Mix, auf den sich die Koalitionsparteien geeinigt haben.
Die Wähler in Demokratien befürworten Ausgabenerhöhungen und Steuerkürzungen häufig, ungeachtet etwaiger Auswirkungen auf die Staatsverschuldung. Nur ist Italien mit einer Verschuldung von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bereits das am höchsten verschuldete Land Europas. Wenn sich die Behörden letzten Endes doch über die EUHaushaltsvorschriften hinwegsetzen, könnten sich die Regierungen anderer Mitgliedstaaten ermutigt fühlen, diesem Beispiel zu folgen.
Aufgrund extrem niedriger Zinssätze ist es Italien gelungen, sein Defizit im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU unter drei Prozent des BIP zu halten. Doch wenn die Kosten der Kreditaufnahme anfangen zu steigen, wird Italiens Schonfrist beim Staatsdefizit vorbei sein.
Zu allem Übel wird ein Großteil der italienischen Staatsschulden von seinen eigenen wackeligen Banken gehalten. Die Italiener stehen den Bail-in-Bestimmungen der EU seit Langem ablehnend gegenüber – denen zufolge Gläubiger einer Bank im Falle drohender Zahlungsunfähigkeit an den Verlusten beteiligt werden –, weil das Eigentum an italienischen Banken, die aus den historischen Stadtstaaten des Landes hervorgegangen sind, stark lokal geprägt ist. Somit würde der Zusammenbruch einer italienischen Bank die umliegende Region in Mitleidenschaft ziehen.
Die Einwanderung ist ein weiterer Bereich, der im Auge zu behalten ist. Seit 2011 sind 750.000 Migranten über das Mittelmeer in Italien angekommen. Jetzt fordert Matteo Salvini, Lega-Chef und Innenminister, dass andere EU-Länder – vor allem Frankreich – mehr Asylsuchende aufnehmen. Die wachsende Feindseligkeit der italienischen Wählerschaft gegenüber der Einwanderung ist dabei Teil eines europaweiten Trends.
Auch die lange Zeit für Einwanderung offene deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist inzwischen im eigenen Land mit heftigen migrationsfeindlichen Gegenreaktionen konfrontiert. Einwanderung erweist sich zwar auf lange Sicht als tendenziell gut für die Wirtschaft, insbesondere wenn die Zahl der Erwerbstätigen im Verhältnis zu den Rentnern abnimmt. Übersteigt aber die Zuwanderung die Kapazität eines Landes, neue Arbeitskräfte zu absorbieren, kann dies – zumindest kurzfristig – mit erheblichen ökonomischen und sozialen Kosten verbunden sein.
In der gesamten EU gibt es wachsende Spannungen über unterschiedliche Auffassungen von lokaler Autonomie, nationaler Souveränität und supranationalen Befugnissen. Wenn sich Europas Konjunkturaufschwung nicht in langfristiges, nachhaltiges Wachstum übersetzen lässt, wird die vierfache Gefahr durch Italiens Banken, seine Schulden, den Backlash in der Zuwanderung und die wirtschaftliche Misere die Widerstandsfähigkeit der Einheitswährung – und der europäischen Integration im Allgemeinen – auf die Probe stellen. Dabei wird nicht nur viel von der neuen italienischen Regierung abhängen, sondern auch vom Schicksal der Reformagenda von Emmanuel Macron.