Die Presse

Die Union am Abgrund Der Asylstreit zwischen CSU-Innenminis­ter Seehofer und CDU-Kanzlerin Merkel lähmt die Regierung.

Deutschlan­d.

- VON IRIS BONAVIDA UND CHRISTIAN ULTSCH

BErlin/WiEn. Der Machtkampf in Deutschlan­ds konservati­ven Schwesterp­arteien Union spitzte sich am Montag dramatisch zu. Um 17 Uhr kamen die Spitzen von CDU und CSU in Berlin zu einem Krisentref­fen zusammen, um den eskalieren­den Asylstreit in letzter Minute beizulegen. Die Union stehe am Abgrund, sagte davor CDU-Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble. Doch es stand noch mehr auf dem Spiel: der Fortbestan­d der Koalition von Kanzlerin Angela Merkel. Mit der SPD allein hat sie keine Mehrheit. Sie braucht die Bayern.

CSU-Chef und Bundesinne­nminister Horst Seehofer beharrte bis zuletzt darauf, künftig Asylwerber, die schon in einem anderen EU-Mitgliedst­aat einen Antrag gestellt haben, direkt an der Grenze abzuweisen. In der Nacht auf Montag erhöhte er in München bei einer Sitzung des CSU-Vorstands seinen Einsatz. Seehofer drohte mit einem Doppelrück­tritt, wenn bis Mittwoch, bis zu seinem 69. Geburtstag, keine Einigung mit Merkel erzielt werden kann.

Die CDU-Chefin lehnte nationale Alleingäng­e an der deutschen Grenze bisher ab. Sie will stattdesse­n erreichen, dass Asylwerber, für die gemäß der Dublin-Verordnung andere EU-Länder zuständig sind, schneller dorthin zurückgesc­hoben werden. Beim EUGipfel holte sich Merkel eigenen Angaben zufolge die Zusage von 14 EU-Staaten, die Verfahren mittels bilaterale­r Verwaltung­svereinbar­ungen zu beschleuni­gen. Die von ihr genannten Regierunge­n Ungarns, Tschechien­s und Polens stritten freilich ab, solche Abmachunge­n getroffen zu haben.

Kompromiss­angebot abgelehnt

Für Seehofer war Merkels aufwendige­s Alternativ­programm nicht ausreichen­d. Die von Merkel avisierten Zusatzabko­mmen seien kein wirkungsgl­eicher Ersatz für Zurückweis­ungen an der Grenze, gab der Innenminis­ter zu Protokoll. Aus seiner CSU hieß es, dass Seehofer der Kanzlerin am Samstag vergeblich Kompromiss­angebote unterbreit­et habe. Demnach habe der Innenminis­ter nicht mehr darauf bestanden, alle Asylwerber an der Einreise zu hindern, die bereits in einem anderen EU-Staat registrier­t seien. Von sofortigen Zurückweis­ungen sollten demnach nur noch Personen betroffen sein, die schon anderswo in Europa ein Asylverfah­ren laufen haben. Zudem wollte Seehofer diesen Berichten zufolge auch Griechenla­nd und Spanien von seiner harten Linie ausnehmen.

Die Bayern reisten am Montag mit einem siebenköpf­igen Verhandlun­gsteam in die CDU-Zentrale nach Berlin. Seehofer hatte außer CSU-Generalsek­retär Markus Blume auch Bayerns Ministerpr­äsident, Markus Söder, Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer, den Chef der CSU-Gruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, Digitalisi­erungsstaa­tsminister­in Dorothee Bär sowie den früheren Ministerpr­äsidenten Edmund Stoiber im Schlepptau. Söder schien vor der entscheide­nden Sitzung zurückzuru­dern. „Wir sind zu Kompromiss­en bereit, das muss man ja auch sein in der Politik“, sagte er. Ein Austritt aus der Regierung oder eine Aufkündigu­ng der Fraktionsg­emeinschaf­t sei für ihn keine Option. Seehofer habe die CSU mit seiner Rücktritts­drohung „sehr überrascht“.

Hinter Seehofer die Sintflut

Ein Abgang Seehofers würde bei Söder ambivalent­e Gefühle auslösen. Einerseits hätte er einen Konkurrent­en weniger und könnte den CSU-Vorsitz sofort an sich reißen. Anderersei­ts stünden die Bayern als schwach da, wenn sie die Koalition in Berlin ohne Seehofer fortsetzte­n. Ein Koalitions­bruch und ein Ende der Union können jedoch kaum im Interesse der CSU sein. Eine klare Mehrheit der Deutschen, 69 Prozent, unterstütz­en einer Umfrage zufolge im Asylstreit die Position Merkels, darunter auch 49 Prozent der CSUAnhänge­r. Der harte Kurs, mit dem Söder im Oktober beim Urnengang in Bayern punkten will, zahlt sich bisher nicht aus. Dem „Trendbarom­eter“zufolge liegt die CSU im Freistaat bei der Sonntagsfr­age zur Bundestags­wahl bei 34 Prozent, weit von der Absoluten entfernt, die Söder verteidige­n will.

Außer der rechten Alternativ­e für Deutschlan­d strebt niemand Neuwahlen im Bund an. Schon gar nicht Merkel. Es wäre sehr fraglich, ob sie noch einmal anträte. Vielleicht spielten auch diese Überlegung­en eine Rolle bei Seehofer: Wenn die Lage außer Kontrolle gerät, könnte er Merkel mit in den Abgrund reißen. Hinter ihm die Sintflut.

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[ APA ] CSU-Chef und Bundesinne­nminister Horst Seehofer hat seinen Rücktritt angekündig­t, wenn er bis Mittwoch keine Einigung im Asylstreit mit CDU-Kanzlerin Merkel erzielt.

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