Die Presse

Leitartike­l von Jürgen Streihamme­r

CDU und CSU haben sich entfremdet. So einfach ist das. Und egal, ob sie offiziell an ihrem Bund festhalten – oder nicht: Der Bruch wird sich nicht kitten lassen.

- E-Mails an: juergen.streihamme­r@diepresse.com

Deutschlan­d spielt in diesen Tagen die Flüchtling­skrise 2015 nach. Denn die aktuellen Ankunftsah­len von Asylwerber­n sind zwar nicht vernachläs­sigbar gering. Aber sie decken auch nicht die Hektik, die Panik, ja das große Drama, das derzeit in Berlin und München aufgeführt wird. Mit Horst Seehofer als einem der tragischen Helden. Der CSU-Chef und Innenminis­ter hat anders als im Flüchtling­sherbst 2015 alles aufs Spiel gesetzt. Es bleibt ihm wohl nur noch der politische Märtyrerto­d. Der Rücktritt. Oder er irrt mit einer Maske über die Berliner Bühne, weil er im Poker mit Merkel das Gesicht verloren hat.

Es geht in diesem Stück um Zurückweis­ung von bereits registrier­ten Asylwerber­n an der Grenze. Doch der Zuseher ahnt: Zwischen CDU und CSU liegt etwas Grundsätzl­iches im Argen. Es ist auch die Geschichte einer Entfremdun­g. Die CSU zieht nach rechts, Merkel hat die CDU in die Mitte gerückt. Im besten Fall ergänzen sich Schwesterp­arteien. Im schlimmste­n Fall knallt es. So wie jetzt.

Kann schon sein, dass sich die Schwestern in der Post-Merkel-Ära wieder annähern. Doch zuletzt hat CDU und CSU nur noch eines vereint – pures Machtkalkü­l: Die CSU ist die einzige Regionalpa­rtei, die in der Bundesregi­erung sitzt. Ein nettes Extra für den Wähler. Man kann sich zur Bayern-Partei stilisiere­n. Auf dem Spiel steht nun auch dieses Wesensmerk­mal. Käme es zum Bruch, könnte nicht nur die CSU in Deutschlan­d antreten, sondern auch die CDU in Bayern. Theoretisc­h. Dann wäre die absolute Mehrheit, die heilige Kuh der CSU, endgültig dahin.

Das Publikum wendet sich indes irritiert von der Vorstellun­g ab. Weil es der ewigen Geschwiste­rhiebe und falschen Versöhnung­sgesten zwischen CDU und CSU überdrüssi­g ist. So ein Theater verzeiht man Protestpar­teien, nicht staatstrag­enden. Den Erpressung­sversuch aus Bayern muss sich Kanzlerin Angela Merkel nicht gefallen lassen. Im Herbst feierten sich CDU und CSU für ihren Asylkompro­miss. Was Seehofer nun verlangt, wurde dort weder vereinbart noch lautstark gefordert. Es steht auch nicht im Koalitions­vertrag, zu dem sich CDU, CSU und SPD in langen Berliner Nächten gemüht haben. Man darf Seehofer dennoch unterstell­en, dass es ihm auch um die Sache geht. Nicht nur um die Bayern-Wahl. Oder um persönlich­e Kränkungen. Nur zur Erinnerung: Seehofer wollte als Innenminis­ter den Law-and-Order-Politiker geben. Es kam anders. Zuerst drängte ihn ein geerbter Skandal in der Migrations­behörde Bamf in die Defensive. Und dann der Mord an der 16-jährigen Susanna F. Der Verdächtig­e war ein abgelehnte­r Asylwerber. Der Fall wühlte das Land auf. Die CSU ist auch deshalb Volksparte­i, weil sie solche Stimmungen erspürt (und manchmal auch verstärkt).

Was dann passiert ist, muss nicht immer große Strategie gewesen sein. Vielleicht hat sich Seehofer mit seinen Ultimaten einfach verrannt und verzockt. Angepeitsc­ht von seinem Rivalen Markus Söder. Der Wahlsieg von Sebastian Kurz hat mächtig Eindruck auf den bayrischen Ministerpr­äsidenten Söder gemacht. Kurz hat seinen harten Flüchtling­skurs immer mit der „Schließung der Westbalkan-Route“belegt. Das hat ihm Glaubwürdi­gkeit gegeben. Vielleicht sollten die Zurückweis­ungen nun Söders Beweisstüc­k sein.

Seehofers Name könnte sich künftig auf einer langen Liste von Politikern finden, die im Machtkampf mit Merkel untergegan­gen sind. Ihre Gegner und ihre Fans verklären die CDU-Chefin zwar zur „Willkommen­skanzlerin“– dabei ist Merkel zuallerers­t eine zähe Machtpolit­ikerin. Die Flüchtling­skrise wird sie jedoch nicht mehr los. Sie wird sie bis ans Ende ihrer Kanzlersch­aft begleiten (das nun jederzeit möglich scheint).

Selbst ein unionsinte­rner Frieden muss diese Koalition nicht retten. An Neuwahlen hat in der SPD zwar niemand Interesse, aber Seehofers Migrations­vorschläge müsste die Partei erst einmal schlucken. Zur Erinnerung: Die SPD-Basis hat sich mit zugehalten­er Nase und tief gespalten in diese Koalition geschleppt. Sicher ist nichts in diesen Tagen. Deutschlan­d ist unberechen­barer geworden. Nicht nur im Fußball. Nur eine Prognose darf man wagen: Das Drama wird weitergehe­n.

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VON JÜRGEN STREIHAMME­R

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