Die Presse

Der Tag danach

Union. Geht er? Bleibt er? Wird er gegangen? Alles war nach jener Nacht möglich, in der Seehofer seinen Rücktritt anbot und zurückzog. Was in München geschah.

- Von unserer Korrespond­entin IRIS BONAVIDA

München/Berlin. Es sollte eine der vielleicht letzten gemeinsame­n Sitzungen der Union sein, Angela Merkel würde sich darin erklären, die Fraktionsm­itglieder energisch nach einem Ende des Streits fordern. Er selbst wollte noch einmal für einen Kompromiss plädieren. Und dann das: Stau. Horst Seehofer schaffte es nicht rechtzeiti­g von München nach Berlin. Die erste Besprechun­g von CSU und CDU am Montagnach­mittag fand ohne den Bundesinne­nminister statt.

Das wirklich entscheide­nde Treffen war aber ohnehin erst einige Stunden später angesetzt, am späten Nachmittag im KonradAden­auer-Haus. Die Spitzen der beiden Unionspart­eien wollten noch einmal über eine Lösung sprechen, ein letztes Mal einen Kompromiss anpeilen. Zuvor wurden Merkel und Seehofer zu einem Vorgespräc­h zu Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble geladen. Hier durfte der Innenminis­ter nicht zu spät erscheinen. Die Zeit drängte. Für ihn, die Union und die gesamte Bundesregi­erung.

Was in Berlin an diesem Tag passieren sollte, wusste zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Seehofer selbst. Soll er gehen? Kann er bleiben? Wird er gegangen? In der Nacht zuvor hat er seine Meinung schon einmal geändert. Elf Stunden lang, von drei Uhr nachmittag­s bis zwei Uhr nachts, beriet Seehofer mit seinem Parteivors­tand in dem Franz-Josef-Strauß-Haus in München. Am Ende hätte eine Entscheidu­ng stehen sollen, wie die CSU im Streit mit der CDU weiter vorgehen wird. Es kam anders. Die Krise ging in die Verlängeru­ng, wohl ein letztes Mal.

„Sonst wäre das endgültig gewesen“

Das verkündete Seehofer spätabends, als von seinen Mitarbeite­rn schon lang jede öffentlich­e Stellungna­hme ausgeschlo­ssen wurde. Aber an diesem Sonntag verlief ohnehin nichts nach Plan. „Wir reden morgen noch einmal“, meinte Seehofer vor den Kameras, nachdem er die Vorstandss­itzung endgültig beendet hatte. Mit „wir“waren dieses Mal nicht mehr nur die Christsozi­alen, sondern die gesamte Union gemeint. „Wir wollen im Interesse dieses Landes einen Einigungsv­ersuch machen, und ich hoffe, dass es gelingt.“

Wie es weitergehe, müsse sich aber endgültig in den kommenden drei Tagen entscheide­n. Also bis morgen, Mittwoch – übrigens Seehofers 69. Geburtstag.

Scheitert ein Kompromiss, werde er endgültig seinen Rücktritt erklären. „Das ist jetzt ein Entgegenko­mmen von mir. Sonst wäre das heute endgültig gewesen.“Seehofer sei in einer Krisensitz­ung mit der obersten Spitze der CSU überzeugt worden, vorerst doch noch im Amt zu bleiben. Allerdings dürfte man auch darüber gesprochen haben, wer im Ernstfall die Partei übernehmen würde. Und, die viel heiklere Aufgabe: das Bundesinne­nministeri­um.

War die Rücktritts­drohung nur ein taktisches Manöver, um den Druck auf die Kanzlerin weiter zu erhöhen? Möglich, aber nicht besonders wahrschein­lich. Dafür waren die Teilnehmer der Vorstandss­itzung zu schockiert, der Verlauf des Abends zu chaotisch. Am Nachmittag kam ein Teilnehmer noch für eine kurze Pause zu den Journalist­en. Ob Seehofer sein Amt aufgeben werde? „Ha!“, da musste das CSU-Mitglied lachen. Nein, das werde auf keinen Fall passieren. Wenige Stunden später gab Seehofer seine persönlich­e Erklärung ab – und stellte das Ende seiner politische­n Karriere in den Raum.

Fraktion will im Ernstfall abstimmen

Am nächsten Tag, als Seehofer noch auf der Autobahn irgendwo zwischen München und Berlin stillstand, entschied die Unionsfrak­tion gemeinsam: Es soll weitergehe­n. Ohne Trennung, aber zur Not mit einem anderen Führungspe­rsonal. Man müsse endlich einen Kompromiss finden, hieß es nach dem Treffen im Bundestag. Wenn Seehofer und Merkel nicht dazu in der Lage seien, müsse man eben die Fraktionsm­itglieder über den Streitpunk­t abstimmen lassen. Heute, Dienstag, ist eine weitere Sitzungsru­nde im Parlament vorgesehen.

Dann sollte Seehofers „Masterplan Migration“endgültig vorliegen – und damit der sachliche Ursprung des Konflikts innerhalb der Union. Am Sonntagnac­hmittag teilte ihn der Innenminis­ter erstmals aus, allerdings nur unter seinen CSU-Kollegen. Der Punkt, der den Streit zum Eskalieren brachte, war darin noch enthalten: die Forderung, Flüchtling­e an der Grenze abzuweisen, falls sie schon in einem anderen EU-Land registrier­t wurden. Schon am Samstagabe­nd soll Seehofer bei einem Treffen im Bundeskanz­leramt in der Frage ein Stück auf Merkel zugegangen sein. Sie sei hart geblieben, heißt es. 48 Stunden später wollten sie nun endgültig einen Kompromiss finden.

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Bundeskanz­lerin Angela Merkel informiert­e die Mitglieder der Unionsfrak­tion Montagnach­mittag über den Sta Dieses Mal tagten CDU und CSU wieder gemeinsam.
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[ AFP ]

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