Die Presse

Wie Seehofer furchtlos wurde

Deutschlan­d. Der Innenminis­ter und CSU-Vorsitzend­e stürzt Deutschlan­d mit seinem sturen Kräftemess­en mit Angela Merkel in eine innenpolit­ische Krise. Er war nie ein gewöhnlich­er Politiker, sondern ein von der Macht getriebene­r. Bayern lag ihm stets mehr a

- VON WOLFGANG BÖHM

Es gibt Momente in einem Leben, die verändern einen Menschen. Sie machen ihn verletzlic­h und hart zugleich. Bei Horst Seehofer, der sich seit Wochen mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel eines der härtesten Machtspiel­e liefert, war es eine schwere Krankheit im Jänner 2002. Damals landete der heutige Innenminis­ter nach einer Herzmuskel­entzündung für drei Wochen auf der Intensivst­ation. Es ging um Tod oder Leben. Seitdem, berichten seine Freunde aus der CSU, sei der Parteivors­itzende und ehemalige Ministerpr­äsident furchtlos geworden. Diese Furchtlosi­gkeit und ein ständiges Streben nach Macht brachte ihn auch auf den unauflösli­chen Konfrontat­ionskurs mit Merkel im aktuellen Flüchtling­sstreit.

Seehofer stammt aus einer konservati­ven Arbeiterfa­milie in Ingolstadt. Nur mühsam und mit zahlreiche­n Rückschläg­en hat sich der ehemalige Kommunalbe­amte hochgedien­t. Er trat in den 1970er-Jahren der CSU bei und schaffte es 1980 in den deutschen Bundestag, 1994 wurde er stellvertr­etender Vorsitzend­er seiner Partei. Nur vier Jahre später erlebte er seine erste schwere Niederlage: Als noch relativ junger Gesundheit­sminister stürzte er gemeinsam mit CDU-Chef Helmut Kohl vom Thron der ersehnten Macht. „Damals haben wir Politik gegen die kleinen Leute gemacht, ich war ganz vorn dabei. Und dann sind wir geköpft worden“, zitierte ihn später der „Spiegel“.

Aber Seehofer gab nicht auf. 2005 kehrte er unter Angela Merkel in die Regierung als Landwirtsc­haftsminis­ter zurück. Der mittlerwei­le völlig genesene Bayer zog auch wieder seine Runden von Zeltfest zu Zeltfest. Er wollte im Grunde sein eigenes Land führen. Nach einer ersten Niederlage am CSU-Parteitag 2007 und Wirren um eine außereheli­che Beziehung folgte er ein Jahr später dem glücklosen Vorsitzend­en Erwin Huber nach. Er übernahm nicht nur die CSU-Führung, sondern auch das Amt des bayrischen Mi- nisterpräs­identen. Seehofer wurde mehrfach als CSU-Vorsitzend­e wiedergewä­hlt – das letzte Mal im Dezember 2017 mit allerdings nur noch recht schwachen 83,7 Prozent der Stimmen.

Er habe ein Ministeram­t nicht nötig, sagte Seehofer, als es vergangene­s Jahr wieder um eine Regierungs­bildung in Berlin ging. Die Nachfolged­ebatte in München, die letztlich für Markus Söder entschiede­n wurde, belehrte ihn aber eines Besseren. Noch einmal wollte er es wissen. Mit seinem radikalen Kurs in der Flüchtling­spolitik übernahm er das Amt des Innenminis­ters. Seit der Flüchtling­skrise 2015 fordert er eine Begrenzung der Zuwanderun­g. Merkels „Wir schaffen das“verurteilt­e er von Beginn an scharf. „Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftig­en wird. Ich sehe keine Möglichkei­t, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen“, sagte er damals. War es zuerst sein Eintreten für eine Obergrenze von 200.000 Personen im Jahr, so war es zuletzt die Zurückweis­ung von bereits in anderen Ländern registrier­ten Asylwerber­n an der Grenze. Seehofer wollte, das wirft ihm nun die CDU-Führung vor, immer restriktiv­ere Varianten. Immer wieder legte er nach, ließ sich von Angela Merkels zaghaftem Entgegenko­mmen und Hinweisen für eine europäisch­e Lösung nicht beirren. Mit seinem Beharren auf Zurückweis­ungen an der Grenze stieß er zuletzt auch viele seiner Freunde in der CDU vor den Kopf. Sie fühlten sich in Geiselhaft des Bayern und der bayrischen Landtagswa­hl genommen. Sie waren ebenso wie Merkel irritiert, dass Seehofer einer europäisch­en Lösung nicht den Vorzug gab.

Gesichtswa­hrender Schritt

Er habe das Amt nicht notwendig, hatte er einst gesagt. Nun zeigt er Willen, es zurückzule­gen – auch um sein Gesicht zu wahren. Ob es seine größte Niederlage oder doch ein inhaltlich­er Sieg sein kann, wird sich erst weisen. Horst Seehofer jedenfalls blieb furchtlos. Auch was seine eigene Zukunft angeht.

Damals haben wir Politik gegen die kleinen Leute gemacht und sind geköpft worden. Horst Seehofer nach der Bundestags­wahl 1998

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