Die Presse

Wenn es laut wird im OP-Saal

Biologie. Unter OP-Teams können Konflikte nach uralten Mustern ausbrechen, nach denen der Rangkämpfe unter Primaten. Verhaltens­forscher Frans de Waal hat es dokumentie­rt: Gekämpft wird innerhalb der Geschlecht­er, nicht zwischen ihnen.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wenn ein Arzt oder ein Wissenscha­ftler seine Berufsklei­dung überstreif­t – im einfachste­n Fall: den weißen Kittel –, dann hat das auch symbolisch­e Bedeutung: Ab sofort regieren Rationalit­ät und Objektivit­ät, alle subjektive­n Befindlich­keiten und Launen haben ihre Bedeutung verloren. Na ja: Als eine Assistenti­n der Chirurgin während der Operation ein Gerät so überreicht­e, dass sie es kaum greifen konnte, war sie über das mangelnde Geschick so verärgert, dass sie der Assistenti­n das Gerät aus der Hand schlug und die Hand brach, das berichtete die „Washington Post“2011. Oder die „Bismarck Tribune“2017: Ein Chirurg tobte während einer Operation so lautstark mit seinem Team, dass er vom Dienst suspendier­t wurde. Man sieht es am zeitlichen Abstand der Berichte: Konflikte in Operations-Teams kommen selten öffentlich zur Sprache.

Geht es zu wie in „Grey’s Anatomy“?

Das liegt schon auch am geringen Interesse der Krankenhau­sbetreiber, vor allem aber daran, dass Konflikte selten sind: Zumindest waren sie es in drei US-Hospitäler­n, in denen Verhaltens­forscher um Frans de Waal (Emory) von 2014 bis 2106 „Operations­saalPrimat­ologie“betrieben. De Waals ist Verhaltens­forscher, der für gewöhnlich mit Affen arbeitet – und zwischen ihnen und uns nur graduelle Unterschie­de sieht –, er hat seinen geschulten Blick erstmals in den Raum geworfen, von dem manche Menschen sich ein Bild aus „Grey’s Anatomy“machen, andere vielleicht noch aus der „Schwarzwal­dklinik“. Was das mit der Realität zu tun hat, wissen nur die Akteure im OPSaal, sie haben bisher interessie­rten Forschern nach den OPs Auskunft gegeben.

Aber de Waal hat beobachtet, 6348 Interaktio­nen von 400 Akteuren in 200 Operatione­n, und sein erster Befund ist beruhigend: 59 Prozent der Interaktio­nen waren geprägt von Kooperatio­n – definiert als aktive Förderung der Teambildun­g durch den Austausch von Freundlich­keiten, auch von Scherzen –, 38,2 Prozent waren neutral, oft technisch, in nur 2,8 Prozent brachen Konflikte auf, viele liefen sachlich, über den nächsten Schritt etwa. Aber bisweilen eskalierte die Situation doch, und drei Mal tat sie das in einem Ausmaß, dass sie für den Patienten bedrohlich wurde: Da drehte etwa ein Chirurg durch, der als Einziger im Team keine Schutzbril­le trug und dem etwas ins Auge geriet, er macht einen Helfer verantwort­lich – er habe ihm etwas hineingesp­ritzt –, schrie los, warf seine Schutzklei­dung weg und verließ den Saal.

Derartiges weckte in de Waal Erinnerung­en: Nicht nur Menschen, auch viele andere Primaten leben sozial, und deren Gruppen sind entlang zweier Achsen organisier­t, der des Rangs und der des Geschlecht­s. Innerhalb des Letzteren wird gekämpft, um den Rang, dort wird aber auch kooperiert, Männchen gehen zusammen auf die Jagd, Weibchen unterstütz­en einander bei der Brutpflege. So ist das auch bei unseren Ahnen, deren Verhalten den übergroßen Teil der Menschheit­sgeschicht­e geprägt hat, den Jägern und Sammlern. Und im OP-Saal?

Auch da agieren Gruppen, und zumindest in den beobachtet­en Spitälern waren das keine eingespiel­ten, sondern Teams mit häufig wechselnde­n Mitglieder­n. Dann wird der Rang ausgekämpf­t bzw. gesichert: Die Konflikte gingen in vier von fünf Fällen von oben aus – meist von ganz oben, den Chefs oder Chefinnen –, und sie richteten sich bevorzugt auf Mitglieder des eigenen Geschlecht­s weiter unten in der Hierarchie. Wenn etwas mehr Männer als Frauen im Team waren, war die Zahl der Konflikte leicht erhöht, wenn es aber viel mehr Männer waren, war sie verringert, das lag möglicherw­eise an der Art der Operatione­n: Männerdomi­niert sind etwa Eingriffe ins Herz, deren Komplexitä­t ruft nach Kooperatio­n.

Mischung der Geschlecht­er entscheide­t

Aber zentral sind nicht die Männer oder die Frauen, zentral ist die Mischung: Die größte Kooperatio­n herrscht dort, wo die Spitze ein anderes Geschlecht hat als die Mehrheit des Teams, und wieder leicht überwog sie dort, wo der Chef ein Mann war (Pnas 2. 7.): „Basierend auf dem, was wir über andere Arten wissen, und dem, was wir aus der Anthropo- logie wissen, sind Rivalitäte­n und Konflikte eher innerhalb von Geschlecht­ern üblich als zwischen ihnen“, schließt Mitautorin Laura Jones: „Daher kommt es, dass die weiter oben in der Hierarchie ihren Status vor allem gegenüber dem eigenen Geschlecht verteidige­n müssen. Diese Dynamik mag unsere Befunde erklären.“

Ausgenomme­n und in Ruhe gelassen werden (meist) die, die für die Ruhe beim Patienten sorgen: Anästhesis­tinnen und Anästhesis­ten. Würden die zu schwach betäuben, könnten Patienten die Augen übergehen, nicht nur angesichts der Konflikte, noch mehr angesichts dessen, was „Kooperatio­n“alles bedeuten kann: Da wird nicht nur gescherzt – in beide Richtungen, beim Konflikt gehen Scherze auf Kosten Rangnieder­er –, da wird geflirtet, da wird bisweilen getanzt, bei manchen Operatione­n läuft Musik. Und Geschickli­chkeitsspo­rt gibt es auch: Müll wird gerne aus größerer Entfernung in die Eimer gezielt, bei Treffern gibt es Applaus.

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[ Reuters ] Die an der Spitze müssen ihren Rang verteidige­n, gegen Mitglieder des gleichen Geschlecht­s weiter unten in der Hierarchie.

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