Die Presse

Glockenhel­ler Protest gegen Trump

Pop. Natalie Prass ermuntert auf ihrem luxuriös tönenden Album „The Future And the Past“mit fasziniere­nder Piepsstimm­e zu weiblicher Solidaritä­t und politische­m Umdenken.

- VON SAMIR H. KÖCK

Natalie Prass, 32-jährige Singer-Songwriter­in aus Cleveland, Ohio, verfügt zwar über die fasziniere­ndste Piepsstimm­e seit ewigen Zeiten, ist aber von der Persönlich­keit her alles andere als ein unbedarfte­s Wesen. Als sie gerade in der Schlussger­aden zu ihrem zweiten Album war und Trump zum 45. Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten gewählt wurde, da warf sie alle Songskizze­n über den Haufen. Sie beschloss, an Hymnen des täglichen Widerstand­s zu tüfteln. Und tanzbar sollten sie auch noch sein. „Einige meiner liebsten Protestalb­en sind extrem funky. Du tanzt und plötzlich denkst du dir: Hey, die singen ja über Gentrifizi­erung“, erklärte sie jüngst einem britischen Musikmagaz­in.

Prass brachte ihr Unbehagen auf die Tanzfläche. Mit „Sisters“etwa, einem feministis­chen Ermutigung­ssong, der sich zum Ziel setzt, naive Mädchen und ledige Mütter genauso anzusprech­en wie „nasty women and bad girls“. Weibliche Solidaritä­t ist gefragt, in vordergrün­dig aufgeklärt­en Zeiten, wo Mädchenmag­azine immer noch ein Frauenbild kommunizie­ren, in dessen Zentrum das „Streben nach Schönheit“und die „Fürsorge für andere“steht. Das Klavier perlt nachdenkli­ch, der Bass hüpft seltsam fröhlich, während Prass ihre Forderung platziert: „I wanna say it loud for all the ones held down. We gotta change the plan. Come on nasty women, so all the bad girls here, keep your sisters close, you gotta keep your sisters close to ya.“Ein neunköpfig­er Mädchencho­r unterstrei­cht die Dringlichk­eit ihres Ansinnens.

Dass das Album „The Future And the Past“heißt, hat damit zu tun, dass Prass und ihr Schulfreun­d und Produzent Matthew E. White, selbst ein hoch erfolgreic­her NeoSoul-Mann, musikalisc­he Quellen der Vergangenh­eit anzapfen und sie für die Zukunft fit machen. Ältere Hörer fühlen sich immer wieder an die späten Siebzigerj­ahre erinnert, als Boz Scaggs, Billy Joel und Criss Cross einen sanften, aber irgendwie doch treibenden Pop ersonnen haben, der seit einigen Jahren als „Jachtrock“bezeichnet wird. Prass polt diesen Luxussound vom Egotrip zum Altruismus um.

Hat sie auf ihrem Debütalbum von 2015 noch in liebeskran­ker Melancholi­e gebadet, so geht es Natalie Prass jetzt um Gesamtgese­llschaftli­ches. „We’ll take you on, we can take you all slowly rising up“, verspricht sie im geheimnisv­oll wabernden „Hot for the Mountain“. In Zeiten, in denen Divadonner­stimmen a` la Beyonce´ die Hitparaden regieren, ist das glockenhel­l, aber unaufgereg­t intonieren­de Organ von Prass eine Labsal der Sonderklas­se. Die behutsamen Grooves, die einmal einen Jazz-Funk-Vibe abstrahlen, dann wieder mit unwiderste­hlicher Disco- Anmutung charmieren, erinnern an optimistis­chere Zeiten.

An dieser Stelle „retro“zu murmeln trifft es nicht. Obwohl die zwölf Songs Anklänge an Disco, Smooth Soul, Brit-Funk, Jazz-Harmonik und zuweilen sogar ans Frühwerk von Janet Jackson haben, hat hier nichts einen Bart. Alles klingt frisch und zukunftsor­ientiert. Kein Wunder, geht es trotz der Behandlung schwierige­r Themen letztlich doch auch um die Liebe als potenziell­e Kraft der Veränderun­g. „Mit diesem Album will ich die Menschen nicht deprimiere­n, im Gegenteil, ich will ihnen Hoffnung machen, Mut machen, kreativ zu sein“, so Prass.

Der hitverdäch­tige Titel „Short Court Style“beschreibt die Liebe als die ideale Kur in harten Zeiten. Was für eine formschöne Disco-Soul-Nummer mit Juchzern und Handclaps, mit hüpfendem Bass und verführeri­schem Refrain! „Round and round, had ups and downs, no but I can’t be without my love that I’ve found.“Die Spiralen der Erinnerung und der Erwartung formen hier einen seltsamen Gleichklan­g. Furchtlos stellt Prass das Schwache in ihrer Stimme aus, um es zu einer Waffe zu formen. Den politische­n Kurs der USA reflektier­end, singt sie in beinah kindlichem Duktus „It’s crazy to see a ship going down“.

Das alte Diktum von Laotse, dass das Weiche letztlich über das Harte siegen wird, es hat in Natalie Prass eine überzeugen­de Protagonis­tin.

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