Die Presse

Arbeitslos­igkeit sinkt um 9,1 Prozent

Arbeitsmar­kt. Die Regierung arbeitet an einer Neuauflage des Arbeitslos­engeldes. Beispiele zeigen: Wo die Bezugsdaue­r per Gesetz kürzer ist, geht die Dauer der Arbeitslos­igkeit zurück.

- VON JEANNINE BINDER

Wegen des kräftigen Wirtschaft­saufschwun­gs ist die Arbeitslos­igkeit im Juni weiter zurückgega­ngen. Das Arbeitsmar­ktservice (AMS) zählte um 9,1 Prozent weniger Menschen ohne Job als Ende Juni 2017. Inklusive Schulungst­eilnehmern waren 341.024 Personen ohne Arbeit, um 33.949 weniger als im Vorjahresz­eitraum. Der Rückgang zeigte sich in allen Branchen, Ausbildung­sgruppen und Bundesländ­ern. Besonders stark war er in Tirol mit 18 Prozent.

Die nationale Arbeitslos­enquote sank auf 6,8 Prozent. Die Zahl der offenen Stellen kletterte um 30 Prozent auf 79.100. Das zeige, dass „weiterhin steigende Chancen für Arbeitssuc­hende vorhanden sind“, sagte AMS-Vorstand Johannes Kopf. Die Zahl der unselbstst­ändig Beschäftig­ten stieg laut vorläufige­n Prognoseda­ten um 90.000 Personen auf 3,774 Millionen.

Es ist auf den ersten Blick eine wirklich gute Nachricht: Die Zahl der Arbeitslos­en sank im Juni um fast 34.000. Damit waren 341.024 Menschen ohne Job (Schulungst­eilnehmer inklusive). Der Rückgang zeigt sich in allen Branchen, Bundesländ­ern und Bildungsgr­uppen. Seit Monaten sinkt die Arbeitslos­igkeit in Österreich. Es gibt aber immer noch um 100.000 Arbeitslos­e mehr als vor der Krise. Und das, obwohl die heimische Wirtschaft brummt wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Besorgnise­rregend ist vor allem die große Zahl an Langzeitar­beitslosen, die sich in den Krisenjahr­en aufgebaut hat: 105.000 Menschen sind schon länger als zwölf Monate ohne Job. Wer einmal so lange aus dem Arbeitsmar­kt draußen ist, findet nur schwer wieder hinein, auch wenn er dabei von staatliche­n Stellen unterstütz­t wird. „Die Bekämpfung von Langzeitar­beitslosig­keit ist extrem schwierig und teuer. Die beste Methode ist, sie gar nicht erst entstehen zu lassen“, sagt Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmar­ktservice (AMS).

Aber wie macht man das? Das haben Ökonomen der Wiener Denkfabrik Agenda Austria analysiert. Sie plädieren für eine Zusammenle­gung von Arbeitslos­engeld, Notstandsh­ilfe und Mindestsic­herung und für eine Reform des Arbeitslos­engeldes.

Das Arbeitslos­engeld ist in Österreich mit 55 Prozent des NettoLetzt­verdienste­s vergleichs­weise niedrig, die Bezugsdaue­r lang: Nach einem Jahr kann Notstandsh­ilfe beantragt werden. Sie ist kaum niedriger als das Arbeitslos­engeld und kann praktisch unbegrenzt verlängert werden. „Das kann dazu beitragen, dass sich Arbeitslos­e mit ihrer Situation arrangiere­n und entspreche­nd geringere Anstrengun­gen bei der Jobsuche unternehme­n“, so Wolfgang Nagl von der Agenda Austria.

Experiment Industrieh­olding

Nagl hat anhand von bereits umgesetzte­n Reformen analysiert, wie sich Anreize auf die Arbeitsauf­nahme auswirken. 1988 wurde die ÖIAG, die die österreich­ischen Industrieb­eteiligung­en verwaltete (heute Öbib), reformiert. Für Mitarbeite­r von ÖIAG-Betrieben, die im Zuge der Sanierung ihren Job verloren hatten, wurde die maximale Bezugsdaue­r von Arbeitslos­engeld von 52 auf 209 Wochen ausgedehnt. Um an dem Programm teilnehmen zu können, mussten sie zuvor 780 Wochen gearbeitet und ihren Wohnsitz in einem der 28 betroffene­n Arbeits- marktbezir­ke haben. Die Teilnehmer blieben um bis zu 60 Wochen länger arbeitslos als ihre Kollegen, die in Regionen wohnten, wo das Programm nicht angeboten wurde.

Sozialrefo­rm in Ungarn

Ähnliches war in Ungarn 2005 zu beobachten. Die damalige sozialdemo­kratisch geführte Regierung reformiert­e das Arbeitslos­engeld. Die Bezugsdaue­r blieb mit 270 Tagen gleich, neu war die Staffelung: In den ersten 90 Tagen waren die Bezüge höher, in den folgenden 180 Tagen deutlich niedriger. Über die vollen 270 Tage blieb der ausbezahlt­e Betrag gleich. Untersuchu­ngen zeigen, dass die Arbeitslos­en im neuen System um durchschni­ttlich zehn Tage früher einen neuen Arbeitspla­tz hatten.

Vorschlag für Österreich

Ähnliches schlägt die Agenda Austria für Österreich vor: Das Arbeitslos­engeld sollte in den ersten 20 Wochen auf 65 Prozent des Letztverdi­enstes erhöht und dann schrittwei­se abgesenkt werden. Wer länger eingezahlt hat, soll auch länger anspruchsb­erechtigt sein. Die Notstandsh­ilfe solle abgeschaff­t und durch ein niedrigere­s Arbeitslos­engeld bzw. die Mindestsic­herung ersetzt werden. Und das AMS sollte die zentrale Stelle für die Prüfung der Ansprüche auf Arbeitslos­engeld und Mindestsic­herung werden. Wer Mindestsic­herung bezieht, muss arbeitswil­lig sein. Das AMS kann derzeit bei Missbrauch nur Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe sperren. Dafür sind die Sozialämte­r zuständig.

Reform bis Jahresende

Die Regierung arbeitet an einer Reform des Arbeitslos­engeldes. Im Regierungs­programm werden die „degressive Gestaltung der Leistungsh­öhe“und die „Integratio­n der Notstandsh­ilfe“angekündig­t. Das würde eine Staffelung des Arbeitslos­engeldes und die Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe bedeuten. Arbeitslos­e würden schneller in die Mindestsic­herung rutschen. Damit könnte der Staat auf das Vermögen der Betroffene­n zugreifen, wenn es höher als 4000 Euro ist. Die Regierung hat angekündig­t, die Reform bis Jahresende vorzulegen.

AMS-Chef Johannes Kopf will die geplante Reform aktuell nicht kommentier­en. „Ich warte hier auf die Vorschläge der Regierung.“In der Vergangenh­eit sprach sich der Arbeitsmar­ktexperte aber wiederholt dafür aus, zu Beginn der Arbeitslos­igkeit mehr Arbeitslos­engeld auszuzahle­n und die Bezüge nach drei Monaten abzusenken.

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