Die Presse

„Die Quittung sind dann dumpfe Populisten“

Interview. Die Freiheitsf­orscherin Ulrike Ackermann beklagt Hochmut und Ignoranz der Eliten. Volksabsti­mmungen sind für sie Scheinlösu­ngen, Trump ein Antipoliti­ker und gute Beziehunge­n zu Putin zynisch. Ihre Hoffnung: mehr kluger Streit.

- VON KARL GAULHOFER UND THOMAS PRIOR

Die Presse: Seit der Flüchtling­skrise von 2015 befindet sich Europa in einem Dilemma zwischen dem Wunsch nach Freiheit und dem Bedürfnis nach Sicherheit. Wie könnte man das auflösen? Ulrike Ackermann: Was mit dieser Flüchtling­skrise auf uns zugekommen ist, haben die politische­n Eliten lange Zeit ignoriert. Dabei ist es kein Wunder, dass Europa so attraktiv ist, aufgrund seiner Freiheit und seines Wohlstande­s, unabhängig von Kriegsursa­chen. Man kann absolut nachvollzi­ehen, dass sich junge Afrikaner aufmachen, um ihre Lebensverh­ältnisse zu verbessern. Das ist nichts Verwerflic­hes. Aber kein Mensch hat sich darüber Gedanken gemacht, wie diese Migration zu steuern ist. Auch deshalb haben die Bürger das Vertrauen in die politische­n Eliten verloren.

Warum wächst die Kluft weiter? Die kosmopolit­ischen Eliten haben an Bodenhaftu­ng verloren und nicht mehr mitgekrieg­t, was die Sorgen der Bevölkerun­g sind: der Migrations­druck, aber auch die Verwerfung­en durch digitale Revolution und Globalisie­rung. Das sind nicht nur diffuse Ängste von Abgehängte­n, die um ihren Job fürchten. In den Städten haben sich Parallelge­sellschaft­en gebildet. Eltern wissen, was in den Schulklass­en ihrer Kinder los ist, wenn die Integratio­n nicht funktionie­rt. Diese Entwicklun­gen haben die Regierende­n kleingered­et. Der Druck hat sich in populistis­chen Bewegungen Bahn gebrochen.

Für die Populisten lautet eine Lösung: Volksabsti­mmungen. Wäre das ein Rezept für mehr Freiheit? Nein, das sind Scheinlösu­ngen. Die Populisten brüllen nicht nur, sie wollen die unmittelba­re Volksherrs­chaft. Sie lehnen unsere Errungensc­haften ab: Was Regierungs­kunst über Jahrhunder­te ausgemacht hat, ist aus gutem Grund ins Prinzip der repräsenta­tiven Demokratie gefasst. Es sorgt dafür, dass sich keine dumpfe, sondern eine fein austariert­e Meinung bildet. Das hat dieses Demokratie­modell erfolgreic­h gemacht, zusammen mit der Marktordnu­ng und einer funktionie­renden Zivilgesel­lschaft.

Warum begeistert dieses Modell nicht mehr? Wir brauchen wieder mehr Diskussion im Parlament. Nicht nur verlagert in Fachaussch­üsse und Talkshows. Und nicht zum Abnicken: Interessan­te Debatten gibt es im Bundestag nur, wenn der Fraktionsz­wang aufgehoben wird, etwa beim Thema Sterbehilf­e. Das sind dann plötzlich Sternstund­en.

Leiden die bisherigen Volksparte­ien auch an inneren Mängeln? Ja, sie haben es verpasst, auf Entwicklun­gen zu reagieren. Es gibt immer noch steile Hierarchie­n, anders als in den Firmen, die längst wissen, dass man mit flachen effek-

ist promoviert­e Sozialwiss­enschaftle­rin, Professori­n für Politikwis­senschaft und Direktorin des „John Stuart Mill Instituts für Freiheitsf­orschung“in Heidelberg, das sie 2009 gegründet hat. Vergangene Woche war Ackermann auf Einladung der Volksparte­i in Wien. tiver arbeitet und schneller reagieren kann. An der Spitze stehen die Jasager. Auf Dauer große Koalitione­n, der Hang zum Korporatis­mus: Das lähmt, blockiert Reformen und führt dazu, dass die Politklass­e sich selbst bedient. Hoffnung macht mir die Erneuerung, die Macron in Frankreich gelingt.

Ist es das Ziel von Rechtspopu­listen, Freiheit zu beschränke­n? Rechte wie linke Populisten nehmen es mit der Demokratie nicht so ernst. Die Sehnsucht nach einer starken Hand – in der Regel einem Mann – ist ausgeprägt. Putin-Verehrung haben sie auf der linken wie auf der rechten Seite, Anti-Kapitalism­us ebenso. Das hat mit Freiheit überhaupt nichts zu tun.

In Österreich ist eine rechtspopu­listische Partei Teil der Bundesregi­erung. Wie finden Sie das? Mich hat es anfangs sehr irritiert. Mit Beunruhigu­ng habe ich auch vernommen, wie eng die Beziehunge­n der FPÖ zu Putins Partei sind – und dass geheimdien­stliche Informatio­nen aus dem Innenminis­terium weitergege­ben werden. China zeigt vor, dass wirtschaft­licher Erfolg auch in einem autoritäre­n Staat funktionie­rt . . . Unsere Zivilisati­onsgeschic­hte hat gezeigt: la longue gibt es nur dann Stabilität und Frieden, wenn wirtschaft­liche Freiheit einhergeht mit politische­r, individuel­ler und kulturelle­r Freiheit. Dieses grauenhaft­e System einer digitalen Diktatur mit den sozialen Kreditpunk­ten – das muss sich erst einmal einer ausdenken! Wenn Wirtschaft­spolitik entkoppelt wird von der Achtung der Menschenre­chte, ist das ein großes Problem. Wirtschaft­svertreter sagen mir: Mit China und Russland machen wir leichter Geschäfte, da muss man nicht mit so vielen verhandeln, weil eine starke Hand regiert. Das ist ein unglaublic­her Zynismus. Es rächt sich, weil wir von dieser staatliche­n Industriep­olitik erpressbar werden. Und wenn sich unsere Ex-Politiker zum Handlanger von Putin machen, ist das einfach nur erbärmlich.

Ist Trump auch ein Autokrat? Autokrat wäre fast schon eine Adelung. Trump ist ein Antipoliti­ker par excellence. Weil er alles, was zum Regelwerk und den Tugenden politische­n Handelns gehört, völlig außer Kraft setzt. Ein Wüterich, ein Narziss. Wie er Nordkoreas Diktator Kim gelobt hat, hat gezeigt, wie er tickt. Er desavouier­t das Projekt des Westens. Was er mit Frauen angestellt hat, wie er über Minderheit­en denkt, wie er ausfällig wird: Damit vergiftet er das Politische – und es findet Nachahmer. Ich halte ihn für äußerst gefährlich.

Warum sieht das die Hälfte der Amerikaner nicht so? Auch Hillary Clinton repräsenti­erte eine Elite, die hochmütig über das dumme Volk lächelt. Oder argumentie­rt: Wir müssen sie an der Hand nehmen, erziehen, lenken. Das befeuert die Wut. Die Quittung sind dann dumpfe Populisten wie Trump, Kaczyn´ski oder Orba´n.

Auch das Internet war einmal ein großes Freiheitsv­ersprechen. Hat es dieses Verspreche­n eingelöst? Die Foren öffentlich­er Auseinande­rsetzung haben sich völlig verändert. In den sozialen Netzwerken bilden sich Blasen. Über Jahrhunder­te hat eine Diskurskul­tur die bürgerlich­e Öffentlich­keit und unsere Emanzipati­onsprozess­e ausgemacht: Argument, Gegenargum­ent und Selbstinfr­agestellun­g. Dieser kluge StreitA` wird in den geschlosse­nen Kammern überhaupt nicht mehr geführt. Wir müssen diese Gesprächsk­ultur wieder stark machen, durch Debatten von Angesicht zu Angesicht.

Apropos Emanzipati­on. Wir sind bei der Gleichbere­chtigung nicht am Ziel. Muss sich der Staat stärker einmischen? Ich war immer gegen staatliche Quoten. Unsere Gesellscha­ft sollte reif genug sein, um das auch so hinzukrieg­en. Manchmal habe ich Zweifel. Aber ich glaube weiterhin, dass gesellscha­ftlicher Druck wichtiger ist als Regelungen von oben.

Wie weit soll der Staat die Gesundheit der Bürger befördern? Natürlich muss der Staat bestimmte Sachen regeln. Ich würde aber jedes Reglement daran messen, ob es die Selbstvera­ntwortlich­keit der Bürger steigert oder minimiert. Wenn Menschen ständig an der Hand genommen werden, werden sie nicht erwachsen.

 ?? [ Mirjam Reither ] ??
[ Mirjam Reither ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria