„Die Quittung sind dann dumpfe Populisten“
Interview. Die Freiheitsforscherin Ulrike Ackermann beklagt Hochmut und Ignoranz der Eliten. Volksabstimmungen sind für sie Scheinlösungen, Trump ein Antipolitiker und gute Beziehungen zu Putin zynisch. Ihre Hoffnung: mehr kluger Streit.
Die Presse: Seit der Flüchtlingskrise von 2015 befindet sich Europa in einem Dilemma zwischen dem Wunsch nach Freiheit und dem Bedürfnis nach Sicherheit. Wie könnte man das auflösen? Ulrike Ackermann: Was mit dieser Flüchtlingskrise auf uns zugekommen ist, haben die politischen Eliten lange Zeit ignoriert. Dabei ist es kein Wunder, dass Europa so attraktiv ist, aufgrund seiner Freiheit und seines Wohlstandes, unabhängig von Kriegsursachen. Man kann absolut nachvollziehen, dass sich junge Afrikaner aufmachen, um ihre Lebensverhältnisse zu verbessern. Das ist nichts Verwerfliches. Aber kein Mensch hat sich darüber Gedanken gemacht, wie diese Migration zu steuern ist. Auch deshalb haben die Bürger das Vertrauen in die politischen Eliten verloren.
Warum wächst die Kluft weiter? Die kosmopolitischen Eliten haben an Bodenhaftung verloren und nicht mehr mitgekriegt, was die Sorgen der Bevölkerung sind: der Migrationsdruck, aber auch die Verwerfungen durch digitale Revolution und Globalisierung. Das sind nicht nur diffuse Ängste von Abgehängten, die um ihren Job fürchten. In den Städten haben sich Parallelgesellschaften gebildet. Eltern wissen, was in den Schulklassen ihrer Kinder los ist, wenn die Integration nicht funktioniert. Diese Entwicklungen haben die Regierenden kleingeredet. Der Druck hat sich in populistischen Bewegungen Bahn gebrochen.
Für die Populisten lautet eine Lösung: Volksabstimmungen. Wäre das ein Rezept für mehr Freiheit? Nein, das sind Scheinlösungen. Die Populisten brüllen nicht nur, sie wollen die unmittelbare Volksherrschaft. Sie lehnen unsere Errungenschaften ab: Was Regierungskunst über Jahrhunderte ausgemacht hat, ist aus gutem Grund ins Prinzip der repräsentativen Demokratie gefasst. Es sorgt dafür, dass sich keine dumpfe, sondern eine fein austarierte Meinung bildet. Das hat dieses Demokratiemodell erfolgreich gemacht, zusammen mit der Marktordnung und einer funktionierenden Zivilgesellschaft.
Warum begeistert dieses Modell nicht mehr? Wir brauchen wieder mehr Diskussion im Parlament. Nicht nur verlagert in Fachausschüsse und Talkshows. Und nicht zum Abnicken: Interessante Debatten gibt es im Bundestag nur, wenn der Fraktionszwang aufgehoben wird, etwa beim Thema Sterbehilfe. Das sind dann plötzlich Sternstunden.
Leiden die bisherigen Volksparteien auch an inneren Mängeln? Ja, sie haben es verpasst, auf Entwicklungen zu reagieren. Es gibt immer noch steile Hierarchien, anders als in den Firmen, die längst wissen, dass man mit flachen effek-
ist promovierte Sozialwissenschaftlerin, Professorin für Politikwissenschaft und Direktorin des „John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung“in Heidelberg, das sie 2009 gegründet hat. Vergangene Woche war Ackermann auf Einladung der Volkspartei in Wien. tiver arbeitet und schneller reagieren kann. An der Spitze stehen die Jasager. Auf Dauer große Koalitionen, der Hang zum Korporatismus: Das lähmt, blockiert Reformen und führt dazu, dass die Politklasse sich selbst bedient. Hoffnung macht mir die Erneuerung, die Macron in Frankreich gelingt.
Ist es das Ziel von Rechtspopulisten, Freiheit zu beschränken? Rechte wie linke Populisten nehmen es mit der Demokratie nicht so ernst. Die Sehnsucht nach einer starken Hand – in der Regel einem Mann – ist ausgeprägt. Putin-Verehrung haben sie auf der linken wie auf der rechten Seite, Anti-Kapitalismus ebenso. Das hat mit Freiheit überhaupt nichts zu tun.
In Österreich ist eine rechtspopulistische Partei Teil der Bundesregierung. Wie finden Sie das? Mich hat es anfangs sehr irritiert. Mit Beunruhigung habe ich auch vernommen, wie eng die Beziehungen der FPÖ zu Putins Partei sind – und dass geheimdienstliche Informationen aus dem Innenministerium weitergegeben werden. China zeigt vor, dass wirtschaftlicher Erfolg auch in einem autoritären Staat funktioniert . . . Unsere Zivilisationsgeschichte hat gezeigt: la longue gibt es nur dann Stabilität und Frieden, wenn wirtschaftliche Freiheit einhergeht mit politischer, individueller und kultureller Freiheit. Dieses grauenhafte System einer digitalen Diktatur mit den sozialen Kreditpunkten – das muss sich erst einmal einer ausdenken! Wenn Wirtschaftspolitik entkoppelt wird von der Achtung der Menschenrechte, ist das ein großes Problem. Wirtschaftsvertreter sagen mir: Mit China und Russland machen wir leichter Geschäfte, da muss man nicht mit so vielen verhandeln, weil eine starke Hand regiert. Das ist ein unglaublicher Zynismus. Es rächt sich, weil wir von dieser staatlichen Industriepolitik erpressbar werden. Und wenn sich unsere Ex-Politiker zum Handlanger von Putin machen, ist das einfach nur erbärmlich.
Ist Trump auch ein Autokrat? Autokrat wäre fast schon eine Adelung. Trump ist ein Antipolitiker par excellence. Weil er alles, was zum Regelwerk und den Tugenden politischen Handelns gehört, völlig außer Kraft setzt. Ein Wüterich, ein Narziss. Wie er Nordkoreas Diktator Kim gelobt hat, hat gezeigt, wie er tickt. Er desavouiert das Projekt des Westens. Was er mit Frauen angestellt hat, wie er über Minderheiten denkt, wie er ausfällig wird: Damit vergiftet er das Politische – und es findet Nachahmer. Ich halte ihn für äußerst gefährlich.
Warum sieht das die Hälfte der Amerikaner nicht so? Auch Hillary Clinton repräsentierte eine Elite, die hochmütig über das dumme Volk lächelt. Oder argumentiert: Wir müssen sie an der Hand nehmen, erziehen, lenken. Das befeuert die Wut. Die Quittung sind dann dumpfe Populisten wie Trump, Kaczyn´ski oder Orba´n.
Auch das Internet war einmal ein großes Freiheitsversprechen. Hat es dieses Versprechen eingelöst? Die Foren öffentlicher Auseinandersetzung haben sich völlig verändert. In den sozialen Netzwerken bilden sich Blasen. Über Jahrhunderte hat eine Diskurskultur die bürgerliche Öffentlichkeit und unsere Emanzipationsprozesse ausgemacht: Argument, Gegenargument und Selbstinfragestellung. Dieser kluge StreitA` wird in den geschlossenen Kammern überhaupt nicht mehr geführt. Wir müssen diese Gesprächskultur wieder stark machen, durch Debatten von Angesicht zu Angesicht.
Apropos Emanzipation. Wir sind bei der Gleichberechtigung nicht am Ziel. Muss sich der Staat stärker einmischen? Ich war immer gegen staatliche Quoten. Unsere Gesellschaft sollte reif genug sein, um das auch so hinzukriegen. Manchmal habe ich Zweifel. Aber ich glaube weiterhin, dass gesellschaftlicher Druck wichtiger ist als Regelungen von oben.
Wie weit soll der Staat die Gesundheit der Bürger befördern? Natürlich muss der Staat bestimmte Sachen regeln. Ich würde aber jedes Reglement daran messen, ob es die Selbstverantwortlichkeit der Bürger steigert oder minimiert. Wenn Menschen ständig an der Hand genommen werden, werden sie nicht erwachsen.