Wie Gerichte zu Sperrzonen werden
Justiz. Unter dem generellen Titel „Sicherheit“werden in Österreichs Gerichtssälen immer mehr Einschränkungen für Medienvertreter vorgenommen. So auch im Grazer Identitärenprozess.
Aussagen von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl zur BVT-Affäre sind dieser Tage von diversen Medien – auch von der „Presse“– kritisiert worden. Tenor: Die Politik dürfe nicht an der Pressefreiheit rütteln. Apropos: Wie ist es eigentlich um die Pressefreiheit in Gerichtssälen bestellt?
Im Prinzip gut. Denn der Gesetzgeber legt Wert auf Öffentlichkeit. Zum Beispiel per Strafprozessordnung: „Gerichtliche Verhandlungen (. . .) werden mündlich und öffentlich durchgeführt.“Aber: Immer öfter werden Medienvertreter in den Gerichten quasi hausgemachten Einschränkungen unterworfen. Aktuelles Beispiel: die heute, Mittwoch, im Landesgericht Graz startende Verhandlung gegen 16 Aktivisten der ultrarechten Identitären Bewegung Österreich. Die Anklage (sie ist umstritten, Juristen sprechen von Gesinnungsstrafrecht) sieht eine „kriminelle Vereinigung“. Bemerkenswert: Für das gesamte Gericht besteht ein Fotografierverbot.
Wie sehen nun jene Restriktionen aus, die in Gerichtssälen Einzug halten? Eine Übersicht. Film- und Fotografierverbot. Ein solches wird neuerdings immer wieder verhängt. Es galt etwa beim Wiener Terrorprozess um den 19-jährigen Lorenz K. für das gesamte Straflandesgericht, also für einen ausgedehnten öffentlichen Gebäudekomplex, in dem täglich Dutzende Prozesse laufen.
Auch bei dem seit Dezember 2017 laufenden Buwog-Prozess gegen Karl-Heinz Grasser und Co. gab es die ersten zwei Monate lang ein Fotografierverbot für das gesamte Gericht. Im Saal durften und dürfen nur zwei Medien filmen bzw. fotografieren, die Aufnahmen müssen anderen Medien zur Verfügung gestellt werden. Begründet werden diese Maßnahmen pauschal mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte bzw. (bei Terrorverfahren) auch mit Sicherheitsgründen.
Die Strafprozessordnung sieht Einschränkungen aber nur in Gerichtssälen bei unmittelbar laufenden Verhandlungen vor. So heißt es: „Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Film- und Fotoaufnahmen von Verhandlungen der Gerichte sind unzulässig.“ Live-Ticker-Verbot. Manche Richter verbieten einfach Internet-LiveTicker von Tageszeitungen, also das parallel zur Verhandlung stattfindende Berichten über Aussagen der Prozessbeteiligten. Jedoch: „Ein Live-Ticker-Verbot trägt das Gesetz eigentlich nicht“, erklärt Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer von der Linzer Kepler-Uni. Und: „Ich halte ein undifferenziertes Verbot für eine schleichende Einschränkung der Öffentlichkeit.“
Schon klar: Wenn jemand die Verhandlung stört, kann der Richter eine Ordnungsstrafe verhängen. Das Verfassen eines Live-Tickers ist in aller Regel aber ein unauffälliger Vorgang.
Gegen einen Live-Ticker spricht: Da Zeugen bis zu ihrem Auftritt nicht im Saal sein dürfen, sollen sie freilich auch nicht vor dem Saal mitlesen, was die Beschuldigten sagen. Aber: Wenn – wie etwa im Identitärenprozess – tagelang verhandelt wird, ehe die ersten Zeugen aufgerufen werden, können sich diese inzwischen sowieso sämtliche Informationen über den Prozessverlauf beschaffen. Sie müssen dafür nicht unbedingt Live-Ticker lesen. Keine technischen Geräte. Richter verbieten zuweilen die Verwendung von „elektronischen Geräten“(Beispiel: Notebooks) während der Verhandlung. So auch im Identitärenprozess – allerdings: laut „Presse“-Informationen soll Journalisten gestattet werden, während des mindestens 19 Tage dauernden Prozesses per Laptop/ Notebook mitzuschreiben.
Keine Namensnennung. Immer öfter werden Journalisten aus Sicherheitsgründen ersucht, die Namen von Richtern und Staatsanwälten nicht zu nennen. Bei Terrorprozessen verständlich. Doch dieses Ersuchen erging wegen „besonderer Sicherheitsmaßnahmen“auch im Identitärenprozess.
Die Pressestelle des Landesgerichts Wiener Neustadt geht sogar so weit: Sie gibt bei gar keinem Prozess mehr (auch nicht beim sprichwörtlichen Hendldieb) den Namen des Richters bekannt. Birklbauer: „Wenn es nicht gravierende Sicherheitsbedenken gibt, sollten Amtsträger im Sinne der demokratischen Kultur namentlich zu ihrer Funktion stehen.“