Joachim Löw wird trotz Vorrunden-Aus seinen Vertrag bis 2022 erfüllen, muss den Umbruch einleiten und sich selbst neu erfinden. Erleichterung beim DFB, der ohne Plan B war.
Es war eine merkwürdige Ruhe. Obwohl sich Joachim Löw mit der deutschen Nationalmannschaft auf die blamabelste Weise bereits nach der Gruppenphase von der WM in Russland verabschiedet hatte, wurden kaum andere Namen öffentlich als mögliche Kandidaten für den Teamchefposten diskutiert, geschweige denn außerhalb von Fanforen gefordert. Vom kollektiven Aufschrei ging FußballDeutschland direkt in den Abwartemodus über. Nach fünf Tagen Nachdenkpause im heimischen Schwarzwald hat Löw sich nun entschieden: Er möchte seinen bis zur Endrunde 2022 in Katar gültigen Vertrag erfüllen.
Nur kurz wurde am Dienstagnachmittag in Frankfurt in der Zentrale des deutschen FußballBunds getagt. „Die Enttäuschung ist nach wie vor riesig“, erklärte Löw. „Aber ich möchte mit ganzem Einsatz den Neuaufbau gestalten.“Der Verband hatte schon zuvor alles auf eine Karte gesetzt und sich einstimmig für die Fortsetzung deklariert. Bereits auf dem Rückflug hatte Präsident Reinhard Grindel dem 58-Jährigen sein Vertrauen ausgesprochen, eine Geste die positiv in Löws Kalkulation eingeflossen ist. Genauso wie die vorzeitige Vertragsverlängerung im Mai ohne jede Not, bei der der DFB ebenfalls die langfristige Zusammenarbeit betont hatte – unabhängig vom Turnierausgang.
Die Vorgehensweise des DFB ist nicht die überzeugendste, wirkt vielmehr vom fehlenden Plan B getrieben. Seit 2006 betreut Löw „die Mannschaft“und ist zu einem ihrer markantesten Gesichter avanciert. Rund um die WM war der Schwarzwälder erstmals in Werbungen abseits der offiziellen DFB-Sponsoren zu sehen – diese Spots sind übrigens auch nach dem deutschen Aus noch im TV zu sehen.
Zudem dürfte der Verband in seinem Handlungsspielraum finanziell eingeschränkt sein. Mit einem Jahresgehalt von 3,8 Millionen Euro war Löw der Topverdiener unter den 32 WM-Trainern. Die vorzeitige Vertragsauflösung samt Gage für den Nachfolger sind Zusatzausgaben, die sich der DFB zum jetzigen Zeitpunkt mit Sicherheit nicht leisten will. Denn es läuft der Neubau der Akademie in Frankfurt (Kostenpunkt 110 Mio. Euro), zudem drohen in der Sommermärchen-Affäre rund um die WM-Vergabe 2006 weitere Steuernachzahlungen von bis zu 50 Millionen Euro.
Nicht zuletzt hat der Trainermarkt aktuell keine interessanten Optionen aus Deutschland zu bieten, da Jürgen Klopp (Liverpool) und Thomas Tuchel (PSG) vergeben sind. Ein Stilbruch mit dem ersten Engagement eines ausländischen Trainers kam nach dem WM-Desaster jedoch ebenso wenig in Frage wie das eines NoNames. Löws Assistenten Thomas Schneider und Marcus Sorg sind ihm ohnehin zu loyal ergeben.
Bleibt die Frage nach Löws ureigenster Motivation. „So nicht, das kann es nicht gewesen sein“, zitierte der „kicker“aus seinem Umfeld. Der Ex-Profi schätzt das inzwischen gewohnte und familiäre Umfeld und die ungleich größere Ruhe bei der Arbeit als im Klubfußball. Allein, das Weltmeisterdenkmal in der Heimat ist nachhaltig angekratzt, bei dieser WMEndrunde wirkte der 58-Jährige taktisch nicht immer auf der Höhe, zuweilen ratlos an der Seitenlinie und emotionslos in Interviews.
Eine „knallharte Analyse“und „tiefgreifende Veränderungen“hat Löw nach dem WM-Aus angekündigt, ob er selbst in Zusammenarbeit mit Teammanager Oliver Bierhoff diese auch umsetzen kann, ist mehr als fraglich. Der erste Schritt ist der überfällige Kader-Umbruch, von sich aus hat noch kein Spieler der in Russland so enttäuschenden Weltmeister-Achse den Rücktritt erklärt.
Sehr wahrscheinlich haben Löw die Erinnerungen an den Confed-Cup 2017 inspiriert. Damals führte er ein junges, deutsches Team mit erfrischendem Fußball zum Sieg – eine schöne Zugabe, auf einer Nebenbühne. Jetzt ist der Ergebnisdruck ungleich höher, bereits in zehn Wochen wartet in der Nations League Frankreich als Gegner.