Die gute Weiße, der edle Sioux
Film. „Die Frau, die vorausgeht“will anhand einer wahren Geschichte von Rassismus und Frauenfeindlichkeit erzählen. Doch er häuft Szenen voller Klischees aneinander.
Nachdem sie erwacht ist, zieht Catherine Weldon (Jessica Chastain), eine Künstlerin aus New York, die Jalousien in ihrem Schlafwaggon hoch und erblickt die endlos anmutende Prärie des wilden Westens. Für sie als Frau, die sich 1889 ohne männliche Begleitung ins heutige North Dakota aufgemacht hat, ist der Anblick doppelt erhaben. Sie wandelt nicht nur auf den Spuren der großen Pioniere, die in der Weite des nordamerikanischen Kontinents ihre Unabhängigkeit als Individuum entdeckten, sondern glaubt sich mit einem Schlag auch von ihrer Vergangenheit als hörige Gattin und spätere Witwe erlöst. Dafür hat sie bereits im Vorfeld gesorgt, als sie ein Ölgemälde im Fluss versenkte, auf dem ihr verstorbener Ehemann verewigt war. Der betörende Augenblick in der tuckernden Dampflokomotive, der ganz allein ihr gehört, hält jedoch nicht lange an.
Denn emanzipierte Frauen sind in der ländlichen, kaum besiedelten Gegend, die sie bereist, alles andere als gern gesehen. Umso mehr, wenn sie aus den verhassten Städten kommen, piekfeine Kleidung tragen und kreativ tätig sind. Außerdem hat sich herumgesprochen, dass die Malerin ausge- rechnet Sitting Bull (Michael Greyeyes), den Stammeshäuptling der Sioux-Indianer porträtieren will, der seit seinem Sieg über ein Bataillon der US-Armee in der Schlacht von Little Bighorn als personifizierter Inbegriff jener als bedrohlich und bösartig wahrgenommen Ureinwohner gilt, die sich seinerzeit gegen ihre Umsiedlung und Zwangsanpassung zur Wehr setzten.
Eine Reihe von Demütigungen
Als sie noch nicht einmal das Fort erreicht hat, in dem die „Wilden“systematisch ausgehungert werden sollen, unterstellt ihr ein grobschlächtiger US-Soldat (Sam Rockwell), für eine Indianer-Hilfsorganisation von der verhassten Ostküste zu spionieren. Danach spuckt man ihr ins Gesicht und lässt sie allein in der Pampa zurück. Die erste einer Kette von Demütigungen und Irreführungen, mit der sich die unbeugsame, aber blauäugige Proto-Feministin in weiterer Folge konfrontiert sieht. Als sie sich mit dem Indigenen-Oberhaupt anzufreunden beginnt und ihn durch ihr resolutes Auftreten dazu inspiriert, den Kampf um das Überleben seines Stammes wiederaufzunehmen (wenn auch diesmal mit den Mittel des zivilen Ungehorsams), erreicht das Mobbing gegen sie die Eskalationsstufe tätlicher Gewalt.
In „Die Frau, die vorausgeht“verstärken sich kolonialistisch geprägter Rassismus und Frauenfeindlichkeit gegenseitig. Der britischen Regisseurin Susanna White gelingt es allerdings immer nur momentweise, diesen vom kommerziellen Western-Kino bisher kaum beachteten Zusammenhang auch in eine originelle Form zu übersetzen. Es bleibt bei einer Anhäufung von Szenen, in denen die bösen Kolonialisten den gutmütigen Ureinwohnern und ihrer strahlenden Sympathisantin zusetzen. Worin die gesellschaftlichen Ursachen für ihren Hass begründet liegen, bleibt jedoch im Dunklen.
Die restliche Zeit schwankt der Film zwischen den Genres hin und her. Er will ein Liebesmelodram sein. Mit einem Paar, das sich auf gleicher Augenhöhe begegnet. Aber dafür wirkt die erotische Spannung zwischen ihnen zu behauptet und betulich. Für ein großes Historienepos lässt sich die Kamera wiederum zu wenig Zeit, um in den sehr ansehnlich komponierten Landschaftsbildern auch wirklich zu schwelgen. Und für einen seriösen Aufarbeitungsfilm hat man sich gegenüber der historischen Wirklichkeit dann doch etwas zu viele künstlerische Freiheiten genommen. Catherine Weldon und Sitting Bull waren viel älter. Und sie brachte ein Kind mit in die Prärie.