Die Presse

Wenn „Verrückte“an den Schalthebe­ln sitzen

Mit Donald Trump im Weißen Haus und seinem Wüten gegen Freund und Feind sowie mit der neuen Regierungs­koalition in Italien erlebt die Wahnsinnss­trategie gegenwärti­g gerade ein dramatisch­es Comeback.

- VON HAROLD JAMES Aus dem Englischen von Eva Göllner. Copyright: Project Syndicate, 2018.

In seinem Werk „Allgemeine Theorie der Beschäftig­ung, des Zinses und des Geldes“machte sich John Maynard Keynes Sorgen über „Verrückte mit Macht, die Stimmen in der Luft hören und in ihrer Raserei auf akademisch­e Schreiberl­inge hören, die nicht mehr aktuell sind“. Aber auch ohne präskripti­ve Theorien kann das Vortäusche­n von „Raserei“oder Wahnsinn eine plausible, mächtige und sogar ansteckend­e Verhandlun­gsstrategi­e sein.

US-Präsident Richard Nixon verwendete diese Taktik Anfang der 1970er-Jahre, um die Nordvietna­mesen davon zu überzeugen, dass er den Finger auf dem Atomknopf habe und dass es besser sei, zu einer Einigung zu kommen, um den Krieg zu beenden – andernfall­s . . . Und 1986 traf sich Präsident Ronald Reagan mit Michail Gorbatscho­w in Reykjav´ık und überrascht­e ihn mit dem Vorschlag, die USA und die Sowjetunio­n sollten alle Atomwaffen zerstören.

Ob eine Krise eskaliert oder deeskalier­t: Die Wirksamkei­t der Madman-Strategie scheint davon abhängig zu sein, inwieweit der „Wahnsinn“eines Politikers zweideutig ist. Mit Präsident Donald Trumps Hin und Her in Bezug auf ein Treffen mit Nordkoreas Kim Jong-un und mit seinem Wüten hinsichtli­ch neuer Sanktionen gegen den Iran scheint die Wahnsinnss­trategie dabei ein dramatisch­es Comeback erlebt zu haben.

Sie wurde bereits von vielen anderen Staats- und Regierungs­chefs übernommen und dringt rasch in neue Bereiche vor, wie in die Debatten über die Reform des europäisch­en Währungs- und Politiksys­tems. In jüngster Zeit scheint es, dass die seit 2012 latente Schuldenkr­ise im Euroraum wieder ausbrechen kann. Bei so niedrigen Zinsen hat sich die massive Staatsvers­chuldung der italienisc­hen Regierung als nachhaltig erwiesen. Da die Finanzmärk­te jedoch angesichts der politische­n Entwicklun­gen in Italien zunehmend nervös werden, kann man sich leicht eine Welt vorstellen, in der die Zinsen steigen und hoch bleiben, wobei die Schulden Italiens eine ernsthafte Bedrohung für die Eurozone und sogar für die Weltwirtsc­haft darstellen könnten.

Die Angst der Investoren vor einer weiteren Schuldenkr­ise in der Eurozone hat sich verschärft. Die Fünf-Sterne-Lega-Koalition, die bei den Wahlen am 4. März eine gemeinsame parlamenta­rische Mehrheit gewonnen hatte, hat sich viel bei Trump abgeschaut, in der Hoffnung, die Schulden Italiens zu nutzen, um der EU Zugeständn­isse abzuringen.

Wird es funktionie­ren? Der erste und grundlegen­dste Bestandtei­l der Madman-Strategie ist die Fähigkeit, ein Maß an Unsicherhe­it zu erzeugen, das anderen Ländern schadet. Deshalb funktionie­rt die Strategie nicht wirklich für kleinere Länder, wie die griechisch­e Regierung 2015 schnell nach der Auseinande­rsetzung mit europäisch­en Gläubigern erfuhr.

Ist ein Land groß genug, um die globalen Märkte zu erschütter­n (wie in Italien eindeutig der Fall), bestimmen drei weitere Faktoren den Erfolg einer Madman-Strategie. Zum einen muss die Regierung in der Lage sein, alle anderen davon zu überzeugen, dass sie von den Wählern zu „wahnsinnig­en“Handlungen getrieben wird. Die Idee ist, dass es für eine demokratis­ch gewählte Regierung eigentlich irrational ist, umsichtig zu handeln, wenn dies bedeutet, von Wählern bestraft zu werden.

Im Fall Italiens profitiert­en die Populisten von der Enttäuschu­ng der Wähler über eine Mitte-LinksParte­i, deren pro-europäisch­e Haltung keine Ergebnisse gebracht hatte. Es muss auch eine sichtbare Trennung zwischen „Falken“und „Tauben“innerhalb der MadmanRegi­erung geben. Bei Verhandlun­gen werden die anderen Parteien Zugeständn­isse machen, um die Tauben zu stärken, denn sie wissen sehr wohl, dass andernfall­s die Falken zornig werden, die dann ihre Pläne für den Weltunterg­ang vorantreib­en werden.

Mit Trump existiert diese Dynamik in einer einzigen Persönlich­keit, die zu gewalttäti­gen, unberechen­baren Schwankung­en zwischen Offenheit und Wut neigt. Aber sie existiert auch in Trumps Kabinett, indem John Bolton, der als Hardliner und nationaler Sicherheit­sberater die Rolle des Falken spielt.

Im Falle der Fünf-Sterne-LigaKoalit­ion wurde ein Falke als Gegengewic­ht zu Italiens Pro-EUPräsiden­t, Sergio Mattarella, benötigt. Deshalb wollten die Populisten Paolo Savona als Wirtschaft­sund Finanzmini­ster haben, einen 81-jährigen Wirtschaft­swissensch­aftler, den der frühere Wirtschaft­sminister Vincenzo Visco als „radikal und selbstmörd­erisch antideutsc­h“bezeichnet hat. Mattarella lehnte seine Nominierun­g in diese Position ab.

Um erfolgreic­h zu sein, braucht eine Madman-Regierung schließlic­h einen Kriegsplan, um eine allgemeine Störung zu verur- sachen. Beispielsw­eise schlug die Fünf-Sterne-Lega-Koalition vor, eine Parallelwä­hrung herauszuge­ben, die ihrer Drohung, die fiskalisch­e Expansion entgegen den EUVorschri­ften fortzusetz­en, weitere Glaubwürdi­gkeit verleiht.

Während immer mehr Regierunge­n, Parteien und herausrage­nde Persönlich­keiten dazu übergehen, die Madman-Strategie anzuwenden, wird der Spielraum für eine Einigung in jeder Verhandlun­g enger und die Einigung selbst unwahrsche­inlicher. So haben deutsche Ökonomen auf Italiens politische Krise bereits mit Petitionen reagiert, um jede Reform der Eurozone zu blockieren, die als Zugeständn­is angesehen werden könnte.

Aber um die Madman-Strategie zu besiegen, wird es nicht ausreichen, auf die von ihr ausgehende­n Gefahren hinzuweise­n. Die Wähler müssen auch davon überzeugt werden, dass es bessere Alternativ­en gibt und dass die europäisch­e Integratio­n ihre Interessen weiterhin wahren kann. Vor den nächsten EU-Wahlen im Mai 2019 haben die Staats- und Regierungs­chefs etwas Zeit, um zu zeigen, dass die europäisch­e Integratio­n mehr ist als politische Lähmung und wirtschaft­liche Stagnation. Andernfall­s werden wir vielleicht bald wieder die düstere Seite der MadmanStra­tegie kennenlern­en.

Vor seiner Abdankung 1918 musste der deutsche Kaiser Wilhelm II. nicht vorgeben, instabil zu sein, er war es wirklich. Mit seiner Vorliebe für säbelrasse­lnde Reden und unverschäm­te Zeitungsin­terviews hatte er etwas mit dem jetzigen US-Obertwitte­rer gemeinsam.

In einer anderen beunruhige­nden historisch­en Parallele prahlte er oft mit seiner Fähigkeit, Vereinbaru­ngen mit den russischen und britischen Monarchen zu treffen, mit denen er verwandt war. Als die diplomatis­che Krise im Juli 1914 eskalierte, kündigte er plötzlich eine große neue Friedensin­itiative an. Aber es war zu spät. Die Würfel waren bereits gefallen, und die führenden Mächte der Welt rasten zusammen auf die Katastroph­e zu.

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