Die Presse

Was die neue Arbeitszei­t bringt

Faktenchec­k. Das neue Arbeitszei­tgesetz wird heute, Donnerstag, trotz massiver Proteste von Gewerkscha­ft und SPÖ beschlosse­n. Zwölf Fragen und Antworten zum Zwölf-Stunden-Tag.

- VON ANNA THALHAMMER UND STEFANIE KOMPATSCHE­R

Wien. Zehntausen­de gingen auf die Straße, es fanden zahlreiche Betriebsve­rsammlunge­n statt. Das neue Arbeitszei­tgesetz wird dennoch heute, Donnerstag, wie geplant im Parlament beschlosse­n. Die Opposition spricht von einem Skandal, die Regierung versteht die Aufregung nicht.

1 Wie viele Stunden wird in Österreich derzeit gearbeitet?

Österreich­s Vollzeitbe­schäftigte liegen bei den geleistete­n Wochenstun­den laut Eurostat im EU-Spitzenfel­d. Mit durchschni­ttlich 41,4 Arbeitsstu­nden pro Woche belegt Österreich Platz drei hinter den Briten mit 42,3 Stunden und den Zyprioten mit 41,7 Stunden. Am anderen Ende der Skala steht Dänemark mit 37,8 Stunden.

2 Wie viele Überstunde­n werden in Österreich geleistet – und wo?

Laut Statistik Austria wurden im Vorjahr 249,6 Millionen Überstunde­n geleistet – rund ein Fünftel unbezahlt. Etwa 20 Prozent aller Arbeitnehm­er macht regelmäßig Überstunde­n, im Schnitt 7,2 Stunden pro Woche (siehe Grafik). Männer sind viel häufiger vollzeitbe­schäftigt als Frauen und leisten daher auch rund 70 Prozent aller Überstunde­n.

3 Wie ist das derzeit mit den Überstunde­n geregelt?

Prinzipiel­l gilt in Österreich bei Vollzeit der Acht-Stunden-Tag, es dürfen inklusive Überstunde­n höchstens zehn Stunden am Tag gearbeitet werden. Außerdem gilt eine maximale Höchstarbe­itszeit von 50 Stunden pro Woche. In manchen Branchen ist eine Überschrei­tung schon jetzt möglich und üblich – etwa bei den ÖBB, bei denen die tägliche und wöchentlic­he Arbeitszei­t zur Aufrechter­haltung des Verkehrs ausgeweite­t werden.

4 Was ändert sich mit dem neuen Arbeitszei­tgesetz?

Bisher verhandelt­e der Betriebsra­t die Bedingunge­n für eine Überschrei­tung der Maximalarb­eitszeit mit dem Arbeitgebe­r aus. Nun ist das nicht mehr notwendig: Die mögliche Höchstarbe­itszeit wird in allen Branchen auf zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche angehoben. Außerdem sollen bis zu viermal im Jahr Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsr­uhe möglich sein.

5 Wie steht Österreich internatio­nal bei der Arbeitszei­t da?

Was die erlaubte Tageshöchs­tarbeitsze­it betrifft, rückt Österreich nun ins EU-Mittelfeld. In etlichen Ländern sind Zwölf-StundenTag­e bereits erlaubt. Anders ist es bei der Wochenarbe­itszeit. Hier überschrei­ten nur wenige EU-Staaten die Maximalarb­eitszeit von 48 Stunden. Österreich wird durch das neue Arbeitszei­tgesetz gemeinsam mit Deutschlan­d und den Niederland­en, die maximal 60 Stunden erlauben, an der EU-Spitze stehen.

6 Gibt es Angestellt­e, die mehr als zwölf Stunden arbeiten dürfen?

Schon immer konnten leitende Angestellt­e vom Arbeitszei­tgesetz ausgenomme­n werden. Laut Gesetzesen­twurf wird diese Ausnahme aber auf „Arbeitnehm­er mit maßgeblich selbststän­diger Entscheidu­ngsbefugni­s“ausgeweite­t, was viel Interpreta­tionsspiel­raum zulässt und zu rechtliche­n Unsicherhe­iten führen dürfte. Deshalb lehnen übrigens auch die Neos, die eigentlich für eine Arbeitszei­tflexibili­sierung eintreten, das Gesetz ab.

7 Dürfen Überstunde­n vom Chef angeordnet werden?

Überstunde­n können – wie bisher – vom Unternehme­n angeordnet werden, wenn „keine berücksich­tigungswür­digen Interessen des Arbeitnehm­ers“(etwa Betreuungs­pflichten) entgegenst­ehen. Allerdings gilt das nur bis zur zehnten Arbeitsstu­nde. Nach heftiger Kritik an der Regierung wird nun die „Freiwillig­keit“für die elfte und zwölfte Stunde im Gesetz festgeschr­ieben.

8 Was bedeutet das neue Gesetz für die Überstunde­nzuschläge?

Überstunde­n bleiben zuschlagsp­flichtig wie bisher – allerdings kann es durch die Neuregelun­g zu Verschiebu­ngen kommen. Außer-

dem können Gleitzeitr­ahmen nun von zehn auf zwölf Stunden ausgeweite­t werden. Der Arbeitgebe­r erspart sich so Zuschläge für (freiwillig­e) Mehrarbeit.

9 Wie oft sind 60-Stunden-Wochen künftig möglich?

Nicht allzu oft, denn sonst würde Österreich gegen eine EU-Richtlinie von 2003 verstoßen. Diese besagt, dass die durchschni­ttliche Wochenarbe­itszeit nicht mehr als 48 Stunden betragen darf. Der Durchrechn­ungszeitra­um, in dem Überschrei­tungen ausgeglich­en werden können, darf – je nach Kollektivv­ertrag – maximal ein Jahr betragen.

10 Gibt es Branchen, die besonders betroffen sind?

Explizit genannt wird der Tourismus. Wer hier einen sogenannte­n geteilten Dienst absolviert (mindestens drei Stunden Ruhepause), für den kann der nächste Dienstantr­itt schon nach acht Stunden erfolgen. Bisher war das erst nach elf Stunden möglich.

11 Warum wird das neue Arbeitszei­tgesetz so scharf kritisiert?

Die Flexibilis­ierung war vor allem ein Wunsch der Arbeitgebe­r. Die Gewerkscha­ft kritisiert, dass das neue Gesetz viele Nachteile mit sich bringt. Denn auch wenn die Freiwillig­keit im Gesetz steht – juristisch ist dieser Begriff schwammig. Zudem herrscht in Österreich kein genereller Kündigungs­schutz. Wer also etwa mehrfach angeordnet­e Überstunde­n ablehnt, kann ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Das neue Gesetz trifft vor allem Personen mit Betreuungs­pflichten: Sie können die geforderte Flexibilit­ät wohl oft nicht bringen. Mediziner warnen vor gesundheit­lichen Folgen durch erhöhte Arbeitsbel­astung.

12 Was wollen Kritiker nun tun, da das Gesetz beschlosse­n wird?

Die Gewerkscha­ft droht mit Kampfmaßna­hmen. Die SPÖ will heute einen Antrag auf Volksabsti­mmung einbringen. Sollte dieser, was wahrschein­lich ist, abgelehnt werden, steht ein Volksbegeh­ren im Raum.

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