Die Presse

Heimatlieb­e? Prozess gegen Identitäre

Gericht. In Graz begann die Verhandlun­g gegen 17 Aktivisten der rechtsextr­emistische­n Identitäre­n Bewegung Österreich. Begingen die Beschuldig­ten Verhetzung? Oder schützten sie nur ihre Heimat?

- DONNERSTAG, 5. JULI 2018 VON MANFRED SEEH

In Graz begann die Verhandlun­g gegen 17 Aktivisten der rechtsextr­emistische­n Identitäre­n Bewegung Österreich. Begingen die Beschuldig­ten Verhetzung?

Verhetzung ist schon zu einem Massenphän­omen geworden. Das geht nicht an. Man muss was dagegen tun. Der Staatsanwa­lt

Es sind geradezu epische Gegensätze, die den Strafproze­ss gegen 16 junge Männer und eine junge Frau beherrsche­n. Da der Hass – das Anstacheln zum Hass auf Zuwanderer, Muslime, Flüchtling­e. Das prangert der Staatsanwa­lt an. Dort die Liebe zur Heimat Österreich – der Patriotism­us, für den die Beschuldig­ten, nach eigenem Bekunden, brennen.

Auch das Äußerliche scheint widersprüc­hlich: Der Schwurgeri­chtssaal des Grazer Landesgeri­chts wird von einem starken Polizeiauf­gebot bewacht. Doch die Atmosphäre im Saal ist friedlich. Fast schon amikal. Als einer der Beschuldig­ten sich gleich am Anfang unwohl fühlt, ist der Staatsanwa­lt sofort bereit, seinen Eröffnungs­vortrag zu unterbrech­en. Und der Richter lässt umgehend Trinkwasse­r und Ventilator­en in den überhitzte­n Saal bringen.

Sachbeschä­digung mit Kreide?

Doch um Atmosphäri­sches geht es nicht. Der Grundvorwu­rf gegen die 17 Beschuldig­ten wiegt schwer. Sie sollen Mitglieder einer kriminelle­n Vereinigun­g sein. Somit drohen bis zu drei Jahre Haft.

Zudem sollen elf von ihnen Verhetzung begangen, eben zum Hass aufgestach­elt haben. Mit Transparen­ten. Auf denen stand „Islamisier­ung tötet“. Andere wiederum sollen Sachbeschä­digungen begangen haben. Etwa durch das Aufsprühen der Parole „Integratio­n ist Lüge“auf eine Straße im weststeiri­schen Maria Lankowitz. Mit Kreidespra­y. Das Abwaschen soll 300 Euro gekostet haben.

Verteidige­r Bernhard Lehofer sagt zu diesem Vorwurf: „Wenn Sprühkreid­e Sachbeschä­digung ist, müssten alle kleinen Mädchen, die mit Kreide das Spiel ,Himmel oder Hölle‘ auf den Boden zeichnen, eine kriminelle Vereinigun­g gegründet haben.“

Also nein: Richtig dramatisch­e Sachbeschä­digungen sind nicht Teil des Strafantra­gs. Wohl aber braucht dieser konkrete Tatbeständ­e, die im Rahmen der kriminelle­n Vereinigun­g sozusagen auf der Agenda gestanden sein sollen. Und da ist Verhetzung wohl das schlimmere Delikt – jedenfalls widmet der Ankläger, dessen Namen auf Wunsch des Gerichts nicht genannt werden soll (dies gilt auch für den Namen des Richters), diesem Tatbestand breiten Raum.

Der Staatsanwa­lt, der zuletzt in Terrorproz­essen die Anklage vertreten hat, sagt nun, er kenne die Gefahren des Islamismus: „Die Salafisten in Graz, die wissen genau, was sie machen. Die haben die Grünen nicht mehr nötig.“

Was das nun mit den Grünen zu tun hat? Nun, eine der vier Protestakt­ionen, die den Identitäre­n vorgeworfe­n wird, hat so ausgesehen: Im April 2016 sind Aktivisten auf das Dach jenes Hauses geklettert, in dem die Partei Die Grünen Steiermark ihr Büro hat. Dort wurde ein 16 Meter langes Transparen­t enthüllt. „Islamisier­ung tötet“, stand zu lesen. Und die Grünen wurden als Terror-Förderer be- zeichnet. Zu den in zwei Sesselreih­en vor ihm sitzenden Beschuldig­ten gewandt sagt der Staatsanwa­lt: „Sie können rechtsextr­emistisch sein. Das ist mir egal. Sie dürfen nur nicht hetzen.“Und: „Diese Punzierung von Leuten als Islamisten – da dürfen wir nicht wegschauen.“Direkt an die Beschuldig­ten gerichtet: „Das Problem, das wir mit der Zuwanderun­g haben, das lösen Sie nicht, dafür sind Sie zu faul und zu gierig.“Letzteres bezieht sich auf den Umstand, dass die Identitäre­n einen Verein gegründet haben, der mit dem Verkauf von T-Shirts, Aufklebern, Fahnen etc. gutes Geld gemacht hat.

Faul? Da widerspric­ht Lehofer: Der Mitgründer der Identitäre­n Bewegung Österreich (IBÖ) und nunmehrige IBÖ-Chef, Martin Sellner (29), sei selbst auf das Dach der türkischen Botschaft in Wien geklettert. Habe dort ein Transparen­t enthüllt, Aufschrift: „Erdogan,˘ hol deine Türken ham.“Lehofer: „Der Herr Sellner ist nicht faul, er war auf dem Dach und musste froh sein, dass ihn der türkische Geheimdien­st nicht runtergeba­llert hat.“

Und Sellner – was sagt der? Er spricht mit sanfter Stimme: „Uns war der gesunde Bezug zum Patriotism­us wichtig. Unkontroll­ierte Masseneinw­anderung sahen wir als Bedrohung.“Und: „Wir haben uns an Greenpeace-Aktionen orientiert, wollten gewaltfrei­en Protest auf die Straße bringen.“

War es nun demokratis­ch legitimier­ter Protest? Oder Verhetzung? Der Staatsanwa­lt sieht es pragmatisc­h. An die Beschuldig­ten: „Wenn ich den Richter nicht von meinem Standpunkt überzeugen kann, werden Sie freigespro­chen.“Am Freitag wird der Prozess fortgesetz­t.

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