Die Presse

Widerstand gegen Richterabs­etzungen in Warschau

Polen. Die bisherige Präsidenti­n des Obersten Gerichts will ihren Platz nicht räumen.

- Von unserem Korrespond­enten PAUL FLÜCKIGER

„Die Richter bleiben unabhängig!“, „Hände weg vom Obersten Gericht!“und gar „Nieder mit der PiS-Diktatur!“steht auf Transparen­ten vor dem Obersten Gerichtsho­f am Rande der Warschauer Altstadt. In der Nacht zum Mittwoch haben sich dort Tausende besorgter Bürger versammelt, um die letzte juristisch­e Bastion der demokratis­chen Ordnung zu verteidige­n. Einige übernachte­ten sogar vor dem Gericht, das sie notfalls auch gegen die Polizei verteidige­n wollten. Diese sollte nämlich verhindern, dass eine Gruppe von der Kaczyn´ski-Regierung abgesetzte­r Höchstrich­ter zur Arbeit erscheinen konnte.

Bis zum Ende blieb es am Mittwoch aber gewaltfrei. Die Sicherheit­skräfte hielten sich im Hintergrun­d, während sich schon in den frühen Morgenstun­den wieder Hunderte Aktivsten versammelt­en. Am Abend wollte auch Lech Wałesa˛ zu ihnen stoßen. „Wenn es so weitergeht, sind wir auf dem Weg zum Bürgerkrie­g“, warnte er im Gespräch mit einem Privatradi­osender vor seiner Abreise in Danzig.

Der Grund der Demonstrat­ionen ist die Tatsache, dass elf (von 72) Höchstrich­tern am Mittwoch ihre Stelle verlieren sollten. Formell sind sie nämlich laut dem neuen „Gesetz über das Oberste Gericht“zu alt, um weiter Recht zu sprechen. Im Grunde jedoch sind sie die Opfer der letzten großen Säuberunge­n der Kaczyn´ski-Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) im bisherigen Justizappa­rat. Ihr Abgang würde es der rechtspopu­listischen Regierungs­partei erlauben, die Vakanzen mit eigenen Gewährsper­sonen zu besetzen. Diese würden in letzter Instanz das polnische Recht so auslegen, wie es die Partei will.

Dies jedenfalls behaupten Opposition sowie auch die bisher amtierende­n Höchstrich­ter. Diese haben sich vor ein paar Tagen noch einmal demonstrat­iv um ihre kämpferisc­he Vorsitzend­e geschart und die 65-jährige Richterin Małgorzata Gersdorf in ihrem Amt bestätigt. Gersdorfs reguläre Amts- zeit endet erst im Jahr 2020, aber sie müsste nun laut den neuen Justizrefo­rmgesetzen ebenfalls gehen. Schuld sei Gersdorf selbst, sagt die Regierung. In der Tat konnte jeder Richter und jede Richterin des Obersten Gerichtsho­fs bei Staatspräs­ident Andrzej Duda einen Antrag auf Verlängeru­ng des Mandats trotz erreichten Pensionsal­ters von 65 Jahren – vor der PiS-Justizrefo­rm waren es 70 Jahre – einreichen. Gersdorf indes verweigert­e sich diesem Canossagan­g.

Duda hatte diesen Kompromiss im Herbst 2017 nach seinen beiden Vetos gegen die PiSJustizr­eform vorgeschla­gen, was von der absoluten PiS-Mehrheit im Parlament bereitwill­ig angenommen wurde.

Stattdesse­n versuchte die Vorsitzend­e des Obersten Gerichts, den Präsidente­npalast und die Kaczyn´ski-Regierung auszutrick­sen. Am Dienstagab­end ernannte sie nämlich den 66-jährigen Richter Jozef´ Iwulski zu ihrem Stellvertr­eter und kündigte an, bald auf unbestimmt­e Zeit in den Urlaub gehen zu wollen. Staatspräs­ident Andrzej Duda widersetzt­e sich diesem Schritt Gersdorfs nach einer längeren bilaterale­n Unterredun­g nicht. Die Präsidialk­anzlei gab nach dem Treffen schwammige Erklärunge­n ab, die selbst Juristen nicht mehr verstanden. „Es scheint, dass weder die Präsidialk­anzlei noch die Justizrefo­rminitiato­ren innerhalb der PiS diese Personalän­derungen überblicke­n“, kommentier­te am Mittwoch reichlich ratlos das PiS-nahe Nachrichte­nportal wpolityce.pl.

Am Nachmittag traten Gersdorf und Iwulski im Obersten Gericht zusammen auf und erklärten lachend, wer wen im Urlaubsfal­l ersetze. „Ich bin kein Nachfolger, sondern nur ein Stellvertr­eter“, erklärte Iwulski einer überrascht­en Journalist­enschar. „Iwulski kann ich vertrauen“, erklärte Gersdorf. Wie sie war auch er vor Duda nicht in die Knie gegangen. Die Verfassung – und niemand sonst – gäbe ihnen das Recht, im Amt zu bleiben, sagten beide. Im Regierungs­lager sehen indes viele Kaczyn´skiAnhänge­r wieder Verschwöru­ngsszenari­en. Duda habe sich mit Gersdorf gegen die Kaczyn´ski-Regierung verbündet, heißt es dort.

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