Widerstand gegen Richterabsetzungen in Warschau
Polen. Die bisherige Präsidentin des Obersten Gerichts will ihren Platz nicht räumen.
„Die Richter bleiben unabhängig!“, „Hände weg vom Obersten Gericht!“und gar „Nieder mit der PiS-Diktatur!“steht auf Transparenten vor dem Obersten Gerichtshof am Rande der Warschauer Altstadt. In der Nacht zum Mittwoch haben sich dort Tausende besorgter Bürger versammelt, um die letzte juristische Bastion der demokratischen Ordnung zu verteidigen. Einige übernachteten sogar vor dem Gericht, das sie notfalls auch gegen die Polizei verteidigen wollten. Diese sollte nämlich verhindern, dass eine Gruppe von der Kaczyn´ski-Regierung abgesetzter Höchstrichter zur Arbeit erscheinen konnte.
Bis zum Ende blieb es am Mittwoch aber gewaltfrei. Die Sicherheitskräfte hielten sich im Hintergrund, während sich schon in den frühen Morgenstunden wieder Hunderte Aktivsten versammelten. Am Abend wollte auch Lech Wałesa˛ zu ihnen stoßen. „Wenn es so weitergeht, sind wir auf dem Weg zum Bürgerkrieg“, warnte er im Gespräch mit einem Privatradiosender vor seiner Abreise in Danzig.
Der Grund der Demonstrationen ist die Tatsache, dass elf (von 72) Höchstrichtern am Mittwoch ihre Stelle verlieren sollten. Formell sind sie nämlich laut dem neuen „Gesetz über das Oberste Gericht“zu alt, um weiter Recht zu sprechen. Im Grunde jedoch sind sie die Opfer der letzten großen Säuberungen der Kaczyn´ski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im bisherigen Justizapparat. Ihr Abgang würde es der rechtspopulistischen Regierungspartei erlauben, die Vakanzen mit eigenen Gewährspersonen zu besetzen. Diese würden in letzter Instanz das polnische Recht so auslegen, wie es die Partei will.
Dies jedenfalls behaupten Opposition sowie auch die bisher amtierenden Höchstrichter. Diese haben sich vor ein paar Tagen noch einmal demonstrativ um ihre kämpferische Vorsitzende geschart und die 65-jährige Richterin Małgorzata Gersdorf in ihrem Amt bestätigt. Gersdorfs reguläre Amts- zeit endet erst im Jahr 2020, aber sie müsste nun laut den neuen Justizreformgesetzen ebenfalls gehen. Schuld sei Gersdorf selbst, sagt die Regierung. In der Tat konnte jeder Richter und jede Richterin des Obersten Gerichtshofs bei Staatspräsident Andrzej Duda einen Antrag auf Verlängerung des Mandats trotz erreichten Pensionsalters von 65 Jahren – vor der PiS-Justizreform waren es 70 Jahre – einreichen. Gersdorf indes verweigerte sich diesem Canossagang.
Duda hatte diesen Kompromiss im Herbst 2017 nach seinen beiden Vetos gegen die PiSJustizreform vorgeschlagen, was von der absoluten PiS-Mehrheit im Parlament bereitwillig angenommen wurde.
Stattdessen versuchte die Vorsitzende des Obersten Gerichts, den Präsidentenpalast und die Kaczyn´ski-Regierung auszutricksen. Am Dienstagabend ernannte sie nämlich den 66-jährigen Richter Jozef´ Iwulski zu ihrem Stellvertreter und kündigte an, bald auf unbestimmte Zeit in den Urlaub gehen zu wollen. Staatspräsident Andrzej Duda widersetzte sich diesem Schritt Gersdorfs nach einer längeren bilateralen Unterredung nicht. Die Präsidialkanzlei gab nach dem Treffen schwammige Erklärungen ab, die selbst Juristen nicht mehr verstanden. „Es scheint, dass weder die Präsidialkanzlei noch die Justizreforminitiatoren innerhalb der PiS diese Personaländerungen überblicken“, kommentierte am Mittwoch reichlich ratlos das PiS-nahe Nachrichtenportal wpolityce.pl.
Am Nachmittag traten Gersdorf und Iwulski im Obersten Gericht zusammen auf und erklärten lachend, wer wen im Urlaubsfall ersetze. „Ich bin kein Nachfolger, sondern nur ein Stellvertreter“, erklärte Iwulski einer überraschten Journalistenschar. „Iwulski kann ich vertrauen“, erklärte Gersdorf. Wie sie war auch er vor Duda nicht in die Knie gegangen. Die Verfassung – und niemand sonst – gäbe ihnen das Recht, im Amt zu bleiben, sagten beide. Im Regierungslager sehen indes viele Kaczyn´skiAnhänger wieder Verschwörungsszenarien. Duda habe sich mit Gersdorf gegen die Kaczyn´ski-Regierung verbündet, heißt es dort.