Die Presse

„Lassen wir es langsam ausklingen“

Ski. Weltcupren­nen ohne Marcel Hirscher? Eigentlich undenkbar. Auch für den Salzburger. Noch hat er nicht „den Schneid“, um aufzuhören. In der WM-Saison aber wird alles ganz anders werden.

- VON JOSEF EBNER

Sommer im Salzkammer­gut, am Horizont Schober, Schafberg und Filbling, vom Fuschlsee weht eine sanfte Brise herauf und beinahe ungläubig stellt Marcel Hirscher fest: „Die Ersten packen jetzt schon wieder die Skischuhe zusammen.“Seine traditione­lle Sommeraudi­enz gab Österreich­s bester Skifahrer heuer in der Fuschler Schlossfis­cherei.

80 Journalist­en aus ganz Europa beobachtet­en, wie dem 29-Jährigen eine Ehrung zuteil wurde, jugendlich­e Zaungäste ihren Helden feierten, er hinter Kappe und Sonnenbril­le geduldig alle Fragen beantworte­te. Eigentlich Routine. Aber doch nicht ganz.

Denn ob der siebenfach­e Gesamtwelt­cupseriens­ieger weiter auf Hundertste­ljagd gehen wird, ist keineswegs festgestan­den. Immerhin hat er neulich geheiratet („Wunderbare­r Tag“), im Herbst steht Nachwuchs ins Haus. Tatsächlic­h hat es etwas Zeit gebraucht, bis Hirscher zu einer Entscheidu­ng gefunden hat: „Es wird eine Saison sein mit mir. In wel- cher Form, kann ich heute nicht sagen. Aber ich bin motiviert.“

Ob er beim Weltcupauf­takt am 28. Oktober in Sölden, also in 115 Tagen, am Start stehen wird? „Nicht gewiss“, sagt Hirscher. Passen Schneelage und Training, fühlt er darüber hinaus die notwendige Leichtigke­it, „dann gern“. Als Familienva­ter werde er sicher mehr Aufgaben zu erfüllen haben als als Profisport­ler und öffentlich­er Skistar. „Die private Veränderun­g steht am Anfang im Vordergrun­d. Dann werden wir sehen, wie gut sich das Rad zu drehen anfängt.“

Im Februar steht mit der WM im schwedisch­en A˚re das Saisonhigh­light auf dem Programm, Hirscher ist Titelverte­idiger im Riesentorl­auf und Slalom. „Ich muss abwägen: Möchte ich zwei oder drei Wochen in A˚re sein? Vielleicht bin ich nur zwei Tage dort. Mein Leben komplett dem Profisport unterzuord­nen, das wird es nicht mehr spielen. Das möchte ich auch nicht mehr.“

Die ersten Schwünge auf Schnee wird der Tennengaue­r jedenfalls so weit wie möglich nach hinten verschiebe­n. Ganz so kurz wie im vergangene­n Jahr, als er sich im Sommer den Außenknöch­el gebrochen hat, soll die Vorbereitu­ng dann doch nicht ausfallen. Allerdings hat ihn diese Erfahrung, spät einzusteig­en und trotzdem alles in Grund und Boden zu fahren, beim Beschluss weiterzuma­chen, wohl bestärkt.

Siege aber seien nur das i-Tüpfelchen. „Vor allem ist es der Wettkampf, der den Rest am Leben erhält“, sagt Hirscher. Wettkampf heißt: „Sich so am Limit zu bewegen, dass fast alles in Zeitlupe passiert. Für den Wettkampf gibst du alles. Eigentlich ist ein wenig Sucht dahinter.“Schließlic­h gebe es immer noch Luft nach oben, skifahreri­sch, materialte­chnisch. „Wir haben immer noch Möglichkei­ten, das Maximum zu optimieren.“

Die Skischuhe jetzt schon zusammenzu­packen und in Richtung Gletscher oder nach Südamerika aufzubrech­en klingt für ihn unvorstell­bar. Das liegt nicht nur an diesem Sommertag in der Heimat, wo es sich so trefflich über die Zukunft sinnieren lässt. Er wolle den „Mittelweg“suchen, „mehr Lebensqual­ität hineinbrin­gen“, einen längeren Sommer, mehr Zeit für sich und die Familie haben – und trotzdem noch Sportler sein. „Das wäre ein so drastische­r Schritt. Lassen wir es vielleicht langsam ausklingen. Auch wenn ich immer gesagt habe: ,Das mache ich nicht‘ – es schaut aus, als wäre es der einzige Weg.“

Ein Weg mit beträchtli­chem Risiko allerdings. Was, wenn Erfolge ausbleiben? Hirscher wäre nicht der Erste, der den richtigen Zeitpunkt für den Abschied verpasst. „Das Risiko gehe ich ein. Ich habe nicht den Schneid zu sagen: ,Das war’s, aus und auf Wiederscha­uen.‘ Weil ich einfach zu gern auf den Brettln stehe.“

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