„Lassen wir es langsam ausklingen“
Ski. Weltcuprennen ohne Marcel Hirscher? Eigentlich undenkbar. Auch für den Salzburger. Noch hat er nicht „den Schneid“, um aufzuhören. In der WM-Saison aber wird alles ganz anders werden.
Sommer im Salzkammergut, am Horizont Schober, Schafberg und Filbling, vom Fuschlsee weht eine sanfte Brise herauf und beinahe ungläubig stellt Marcel Hirscher fest: „Die Ersten packen jetzt schon wieder die Skischuhe zusammen.“Seine traditionelle Sommeraudienz gab Österreichs bester Skifahrer heuer in der Fuschler Schlossfischerei.
80 Journalisten aus ganz Europa beobachteten, wie dem 29-Jährigen eine Ehrung zuteil wurde, jugendliche Zaungäste ihren Helden feierten, er hinter Kappe und Sonnenbrille geduldig alle Fragen beantwortete. Eigentlich Routine. Aber doch nicht ganz.
Denn ob der siebenfache Gesamtweltcupseriensieger weiter auf Hundertsteljagd gehen wird, ist keineswegs festgestanden. Immerhin hat er neulich geheiratet („Wunderbarer Tag“), im Herbst steht Nachwuchs ins Haus. Tatsächlich hat es etwas Zeit gebraucht, bis Hirscher zu einer Entscheidung gefunden hat: „Es wird eine Saison sein mit mir. In wel- cher Form, kann ich heute nicht sagen. Aber ich bin motiviert.“
Ob er beim Weltcupauftakt am 28. Oktober in Sölden, also in 115 Tagen, am Start stehen wird? „Nicht gewiss“, sagt Hirscher. Passen Schneelage und Training, fühlt er darüber hinaus die notwendige Leichtigkeit, „dann gern“. Als Familienvater werde er sicher mehr Aufgaben zu erfüllen haben als als Profisportler und öffentlicher Skistar. „Die private Veränderung steht am Anfang im Vordergrund. Dann werden wir sehen, wie gut sich das Rad zu drehen anfängt.“
Im Februar steht mit der WM im schwedischen A˚re das Saisonhighlight auf dem Programm, Hirscher ist Titelverteidiger im Riesentorlauf und Slalom. „Ich muss abwägen: Möchte ich zwei oder drei Wochen in A˚re sein? Vielleicht bin ich nur zwei Tage dort. Mein Leben komplett dem Profisport unterzuordnen, das wird es nicht mehr spielen. Das möchte ich auch nicht mehr.“
Die ersten Schwünge auf Schnee wird der Tennengauer jedenfalls so weit wie möglich nach hinten verschieben. Ganz so kurz wie im vergangenen Jahr, als er sich im Sommer den Außenknöchel gebrochen hat, soll die Vorbereitung dann doch nicht ausfallen. Allerdings hat ihn diese Erfahrung, spät einzusteigen und trotzdem alles in Grund und Boden zu fahren, beim Beschluss weiterzumachen, wohl bestärkt.
Siege aber seien nur das i-Tüpfelchen. „Vor allem ist es der Wettkampf, der den Rest am Leben erhält“, sagt Hirscher. Wettkampf heißt: „Sich so am Limit zu bewegen, dass fast alles in Zeitlupe passiert. Für den Wettkampf gibst du alles. Eigentlich ist ein wenig Sucht dahinter.“Schließlich gebe es immer noch Luft nach oben, skifahrerisch, materialtechnisch. „Wir haben immer noch Möglichkeiten, das Maximum zu optimieren.“
Die Skischuhe jetzt schon zusammenzupacken und in Richtung Gletscher oder nach Südamerika aufzubrechen klingt für ihn unvorstellbar. Das liegt nicht nur an diesem Sommertag in der Heimat, wo es sich so trefflich über die Zukunft sinnieren lässt. Er wolle den „Mittelweg“suchen, „mehr Lebensqualität hineinbringen“, einen längeren Sommer, mehr Zeit für sich und die Familie haben – und trotzdem noch Sportler sein. „Das wäre ein so drastischer Schritt. Lassen wir es vielleicht langsam ausklingen. Auch wenn ich immer gesagt habe: ,Das mache ich nicht‘ – es schaut aus, als wäre es der einzige Weg.“
Ein Weg mit beträchtlichem Risiko allerdings. Was, wenn Erfolge ausbleiben? Hirscher wäre nicht der Erste, der den richtigen Zeitpunkt für den Abschied verpasst. „Das Risiko gehe ich ein. Ich habe nicht den Schneid zu sagen: ,Das war’s, aus und auf Wiederschauen.‘ Weil ich einfach zu gern auf den Brettln stehe.“