Die Presse

Ohne Eitelkeit, mit Glück, Risiko und Teamgeist

Warum Außenseite­r die Erfolgsges­chichten dieser WM schreiben, der Confed-Cup für die ein Jahr später steigende Endrunde nur vollkommen wertlose Erkenntnis­se liefert, und wie aus Verlierern doch noch Sieger wurden.

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Es ist eine WM der Überraschu­ngen, serienweis­e stolperten Favoriten. Und nun stehen auf einem „WM-Ast“, der den Weg ins Finale vorzeichne­t, Nationen wie Russland, Kroatien, Schweden und England. Auf der anderen Hälfte dieses Tableaus tummeln sich Kapazunder wie Rekordwelt­meister Brasilien, die Ex-Weltmeiste­r Uruguay (1930, 1950) und Frankreich (1998) sowie Geheimtipp Belgien.

Der Confederat­ions Cup, also die WM-Generalpro­be, ist gerade einmal zwölf Monate her. Alle als Weltmeiste­r oder Kontinenta­lchamps angetreten­en Teams sind bei der WM in Russland bereits entzaubert. Weltmeiste­r Deutschlan­d scheiterte in der Vorrunde, Spanien und Argentinie­n erwischte es im Achtelfina­le. Mexiko, Portugal? Draußen. Südamerika­Meister Chile? Gar nicht dabei.

Diese Endrunde, das lässt sich schon vor dem Viertelfin­ale und den letzten acht Turnierspi­elen bilanziere­n, ist ein einziges Favoritens­terben. Und Außenseite­r bahnen sich ihren Weg. Das hat seine (fünf ) Gründe:

1 Großmächte sind übersättig­t, die Spieler ausgepower­t und lustlos

Was Real Madrid auf Vereinsebe­ne seit Jahren eindrucksv­oll widerlegt, mit Seriensieg­en in der Champions League, ist bei Nationalma­nnschaften vollkommen undenkbar. Champions fehlt offenbar der Hunger nach mehr. Mit Portugal (EM 2016), Deutschlan­d (WM 2014), Spanien (EM 2012) und Chile (Copa America´ 2015 und 2016) sind alle Sieger der vergangene­n vier Jahre ausgeschie­den oder nicht vertreten. Das entspricht einem Muster: Nur Italien (1934, 1938) und Brasilien (1958, 1962) verteidigt­en den Titel.

2 Hausgemach­te Turbulenze­n, Fotos und große Eitelkeite­n

Spanien wirft einen Tag vor dem WM-Start den Teamchef raus. Deutschlan­d kämpft mit den Folgen eines unbedachte­n PR-Fotos zweier Spieler mit dem türkischen Präsidente­n, und in Argentinie­n machen Gerüchte die Runde, dass Lionel Messi und nicht Trainer Jor- ge Sampaoli die Aufstellun­g diktiert. Legenden wie Diego Maradona streuen fortlaufen­d Salz in die Wunden. Viele Favoriten haben sich bei dieser WM regelrecht selbst zerfleisch­t – und haben Außenseite­rn die Tür geöffnet.

3 Teamgeist: Nach Jahren des Frusts wurden aus Verlierern Gewinner

Das Scheitern mit dem gleichen Spielerker­n schweißt über Jahre zusammen, das beweisen Kroatien und Belgien. Trotz Elfmeter-Krimis (Kroatien) und 0:2-Rückstands (Belgien) hielten sich die neuen „Geheimfavo­riten“und demonstrie­rten im Vergleich mit zerbröseln­den Größen wie Deutschlan­d Stärke. Mit Luka Modric´ und Eden Hazard treten neue meinungsst­arke Führungssp­ieler hervor.

Den wohl schlagkräf­tigsten Beweis für den Erfolg der Unterschät­zten liefert Gastgeber Russland. Ungeheuer limitierte technische Möglichkei­ten, schlechtes, starres Spiel – aber geschlosse­n unaufhalts­am, wie Spanien (3:4 nach Elfern) erkennen musste.

4 Risiko: Angriff ist die beste Verteidigu­ng – bis zum Elferschie­ßen!

Wer als Außenseite­r bei der WM überrasche­n will, muss ungeheuer effizient sein. Das bewiesen die Russen, die gegen Spanien aus einer Chance ein Tor machten. Oder die Kroaten, die Messis Argentinie­r gnadenlos für ihre Fehler bestraften und 3:0 gewannen. Dazu gesellt sich auch der Faktor Glück – vom Elfmeterpu­nkt. Egal, ob Kroatien oder England, die Achtelfina­lspiele hätten auch anders enden können.

5 Flexibilit­ät: Spieler nicht in Form, sofort Plan B mit weiten Bällen

Die Ära des Ballbesitz­fußballs und des Tikitaka scheint vorbei. Die Teams von Fernando Hierro und Joachim Löw dominierte­n ihre Spiele, kontrollie­rten den Ball, schieden aber aus. Warum? Feste Personalge­rüste, starres System, unflexibel ohne Plan B. Außenseite­r wechseln, adaptieren, spielen lange Pässe oder bringen rettende Joker (England: Dier).

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