1000 Milliarden für bunte Linien auf Landkarten
Infrastruktur: Wenn Größenwahn auf Schrebergartentum trifft.
D as Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) promotet eine neue Studie zu einer „europäischen Seidenstraße“. Kurz zusammengefasst: Europa müsste in zwei große Verkehrsachsen (Lissabon–Moskau über Nordeuropa und Mailand–Zürich–Wien–Schwarzes Meer) in den nächsten zehn Jahren 1000 Mrd. Euro investieren. Das würde sieben Millionen Arbeitsplätze schaffen und beispielsweise die Russland-Exporte um zwölf Mrd. Euro erhöhen.
Lassen wir jetzt einmal die lustigen (und völlig realitätsfernen) Zahlenspielereien mit den Modellrechnungen beiseite (die ja im Prinzip etwa heißen würden, dass der Russland-Export derzeit wegen fehlender Transportinfrastruktur lahmt) und schauen wir uns aktuelle Infrastrukturinvestitionen in Europa an. Da müssen wir feststellen: Grenzüberschreitender Infrastrukturausbau ist immer gut, in Europa derzeit aber pure Geldverbrennung.
Das Malen von bunten Linien auf Landkarten ist das eine, deren Umsetzung das andere. EU-Experten haben etwa die Europa-Karte schon mit einem dichten TEN-Schienennetz überzogen. Sieht super aus, ist aber in der Praxis nichts als Murks. Die Österreicher lassen ihre sauteure BaltischAdriatische Achse in Klagenfurt verenden, statt sie ans italienische Hochleistungsnetz bei Tarvis anzuschließen. Die Deutschen machen den Brennertunnel mangels Zulaufstreckenausbaus zur Fehlinvestition, die Spanier bauen mit EU-Hilfe ein unheimlich dichtes (und, mangels notwendiger Auslastung, dramatisch unwirtschaftliches) Superschnellzugnetz, ohne auch nur daran zu denken, dieses international zu verknüpfen. Und so weiter und so fort. I n diesem Umfeld international 1000 Milliarden investieren zu wollen wäre wohl die größte Geldverbrennungsaktion der Wirtschaftsgeschichte. Das würde in nationalen Prestigeprojekten ohne internationalen Wert enden.
Vor der Infrastruktur (die in Europa ohnehin gut in Schuss ist) sollte man einmal die EU-Verkehrspolitik ausbauen. Diese gehört endlich koordiniert und den nationalen Schrebergärtnern entzogen. Dann kann man weiterreden.