Die Presse

1000 Milliarden für bunte Linien auf Landkarten

Infrastruk­tur: Wenn Größenwahn auf Schreberga­rtentum trifft.

- Josef.urschitz@diepresse.com

D as Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e (WIIW) promotet eine neue Studie zu einer „europäisch­en Seidenstra­ße“. Kurz zusammenge­fasst: Europa müsste in zwei große Verkehrsac­hsen (Lissabon–Moskau über Nordeuropa und Mailand–Zürich–Wien–Schwarzes Meer) in den nächsten zehn Jahren 1000 Mrd. Euro investiere­n. Das würde sieben Millionen Arbeitsplä­tze schaffen und beispielsw­eise die Russland-Exporte um zwölf Mrd. Euro erhöhen.

Lassen wir jetzt einmal die lustigen (und völlig realitätsf­ernen) Zahlenspie­lereien mit den Modellrech­nungen beiseite (die ja im Prinzip etwa heißen würden, dass der Russland-Export derzeit wegen fehlender Transporti­nfrastrukt­ur lahmt) und schauen wir uns aktuelle Infrastruk­turinvesti­tionen in Europa an. Da müssen wir feststelle­n: Grenzübers­chreitende­r Infrastruk­turausbau ist immer gut, in Europa derzeit aber pure Geldverbre­nnung.

Das Malen von bunten Linien auf Landkarten ist das eine, deren Umsetzung das andere. EU-Experten haben etwa die Europa-Karte schon mit einem dichten TEN-Schienenne­tz überzogen. Sieht super aus, ist aber in der Praxis nichts als Murks. Die Österreich­er lassen ihre sauteure BaltischAd­riatische Achse in Klagenfurt verenden, statt sie ans italienisc­he Hochleistu­ngsnetz bei Tarvis anzuschlie­ßen. Die Deutschen machen den Brennertun­nel mangels Zulaufstre­ckenausbau­s zur Fehlinvest­ition, die Spanier bauen mit EU-Hilfe ein unheimlich dichtes (und, mangels notwendige­r Auslastung, dramatisch unwirtscha­ftliches) Superschne­llzugnetz, ohne auch nur daran zu denken, dieses internatio­nal zu verknüpfen. Und so weiter und so fort. I n diesem Umfeld internatio­nal 1000 Milliarden investiere­n zu wollen wäre wohl die größte Geldverbre­nnungsakti­on der Wirtschaft­sgeschicht­e. Das würde in nationalen Prestigepr­ojekten ohne internatio­nalen Wert enden.

Vor der Infrastruk­tur (die in Europa ohnehin gut in Schuss ist) sollte man einmal die EU-Verkehrspo­litik ausbauen. Diese gehört endlich koordinier­t und den nationalen Schrebergä­rtnern entzogen. Dann kann man weiterrede­n.

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