Kollektivverträge als Segen mit Haken
OECD. Zentrales Feilschen drückt die Produktivität. Aber Österreich schaffe genügend Spielraum.
Die Löhne steigen nicht so stark, wie die Wirtschaft wächst: Diese Sorge treibt Ökonomen, Gewerkschafter und Politiker schon länger um. Auch der kräftige Aufschwung der letzten Jahre scheint am Befund nichts zu ändern: Der Aktionär profitiert davon mehr als der Arbeiter. Anders gesagt: Die Lohnquote sinkt. Viele Gründe werden dafür ins Treffen geführt, aber eines scheint klar: In Ländern mit starken Gewerkschaften, wo Kollektivverträge weiterhin große Teile der Wirtschaft abdecken, lässt sich der Effekt abdämpfen.
Österreich ist so ein Land. Mit der Besonderheit, dass es de facto eine Einheitsgewerkschaft gibt und sich auch die Arbeitgeber extrem stark organisieren (müssen). Sozialpartner mit Pflichtmitgliedschaft sorgen für eine fast lückenlose Abdeckung mit Kollektivverträgen. Ein stark zentralisiertes System, das alle Unternehmen über einen Kamm schert, birgt aber auch Gefahren. So leidet darunter die Produktivität, wie die OECD in ihrem aktuellen Beschäftigungsausblick feststellt. Warum?
Im Extremfall sind die Löhne in einer Branche überall gleich hoch, egal ob eine Firma produktiver arbeitet als ihre Konkurrenz oder weniger wettbewerbsfähig ist. Der einzelne Lohnempfänger hat geringere Anreize, sich anzustren- gen – oder zu einer produktiveren Firma zu wechseln, die ihm mehr zahlen könnte. So wird der Faktor Arbeit nicht optimal eingesetzt.
Allzu starke Gewerkschaften könnten Firmen auch die Lust aufs Investieren rauben, weil sie den Kostenvorteil daraus in den Lohnverhandlungen für sich kassieren. Aber auch der gegenteilige Effekt ist denkbar: Gerade weil die Löhne hoch sind, sind Firmen gezwungen, technisch am neuesten Stand zu bleiben und Arbeit sparsam einzusetzen. Welcher Effekt in der Praxis überwiegt, ist umstritten. Die OECD legt sich nun fest: Zen- tralisierte Lohnverhandlungen sind verbunden mit schwächerem Produktivitätswachstum.
Ist das eine implizite Kritik am österreichischen System? Nein. Angesprochen müssten sich Länder wie Frankreich, Italien und Spanien fühlen. Andere Industriestaaten böten trotz zentraler Organisation ausreichend Spielraum, um auf Betriebsebene die Branchenverträge an spezielle Umstände anzupassen. Zu dieser Gruppe zählt die OECD neben Deutschland, Holland und Schweden auch Österreich. Freilich ist hierzulande diese Flexibilität als Ausgleich für die fast flächendeckenden Abschlüsse besonders wichtig. (gau)