Die Presse

Thomas Quasthoff versteht die tiefe Leichtigke­it des Jazz

Der Bassbarito­n präsentier­te in der Staatsoper sein Album „Nice ’n’ Easy“.

- VON THOMAS KRAMAR

Es ist immer wieder erstaunlic­h, welche – oft kindliche – Freude gerade hochmusika­lische Menschen daran finden, fremde Akzente und Idiome nachzuahme­n. Etwa Thomas Quasthoff. Bei seinen launigen Ansagen beim Jazzfest in der Staatsoper sprach er bald mit russischem Timbre, bald mit schweizeri­schem. Am häufigsten natürlich mit wienerisch­em: „G’fallt’s eahna?“, fragte er, übersetzte den Songtitel „But Not For Me“idiomatisc­h korrekt als „I kriag nie was ab“. Da verzieh man ihm sogar, dass er, selbst gebürtiger Niedersach­se, einmal mit der Form „spuin“(statt „spüün“) ins Bayerische verfiel . . .

Das sind harmlose Scherze, wie seine Lautmalere­ien, bei denen er auch Husten und Niesen nachahmte. Aber sie legten die Frage nahe: Ist es vielleicht auch Mimikry, wenn Quasthoff, als klassische­r Sänger erfolgreic­h, sich seit einiger Zeit dem Jazz widmet? Kokettiert er gar nur damit? Der Abend in der Staatsoper zeigte einmal mehr, dass das nicht so ist. Quasthoff meint es ernst. Wenn er nicht dem Pathos so abhold wäre, würde man ihm attestiere­n: Er versteht die Seele des Jazz. Er weiß, dass die Lässigkeit des Jazzgesang­s keine Nachlässig­keit ist, sondern kunstvolle­s Understate­ment. Dass hier das Leichte tief wird und das Tiefe leicht.

So begann er – nach dem vom VBW-Orchester fein verschatte­ten Gil-Evans-Arrangemen­t „Gone“– quasi programmat­isch mit dem einst von Frank Sinatra gesungenen „Nice ’n’ Easy“, mit dem schönen Satz: „We’re on the road to romance – that’s safe to say; but let’s make all the stops along the way.“Tiefe Register zog er etwa in „Stardust“, doch auch hier forcierte er nie, phrasierte gerade in Zeilen wie „The lonely night dreaming of a song“leicht und verhalten. In „Secret Love“hörte er dem Liebesgehe­imnis nach, bevor Schlagzeug­er Wolfgang Haffner ein wunderbar behutsames Solo mit Paukenschl­ägeln begann. In „But Not For Me“näherte er sich sogar dem tonlosen Parlando: höchste Kunst!

Lauter, zupackende­r sang Quasthoff naturgemäß das von Tina Turner bekannte „I Can’t Stand The Rain“. Nur bei „Imagine“– das ihm, wie er sagte, besonders wichtig ist, weil es in Zeiten der Zugewinne der politische­n Rechten in Europa „erschrecke­nd aktuell“sei – trug er etwas zu dick auf. Gewiss, er ist nicht der erste Jazzsänger, der das tut, doch gerade weil er sonst so subtil agiert, wird bei ihm schmerzhaf­t klar: John Lennons zarter, fast naiver Traum einer friedliche­n – und gottlosen! – Welt verliert sein Charisma, wenn man ihn zu forciert beschwört. Ein kleiner Einwand angesichts eines sehr erfreulich­en Abends.

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